piwik no script img

Bitte nicht berühren!

Massenware als Sakralobjekt: Das Museum für Gegenwartskunst Basel stellt die Kindheits- und Kitsch-Ikonen von Katharina Fritsch aus  ■ Von Gabriele Hoffmann

In Ausstellungsräumen, in denen Katharina Fritsch ihren Auftritt hat, wird das lässige Herumschlendern mit Seitenblick auf die zufällig in den Weg geratenden Werke zum Sakrileg. Man nimmt vor ihren Skulpturen Haltung an, und man bleibt ihnen auf Distanz. Solche Feierlichkeit ist besonders überraschend, wenn es um „Warengestelle“ mit unterschiedlichen Produkten wie Gehirnen, Madonnen, Vasen und Katzen, um „Geldkisten“ oder einen „Wühltisch“ geht.

Doch Massenware von Katharina Fritsch, die sich jetzt im Basler Museum für Gegenwartskunst mit perfektem Display zu kunstvollen Pyramiden türmt, läßt nun mal keine Kaufhausatmosphäre aufkommen. Hier trifft die Banalität der Gegenstände auf eine Präsentation, die ihre Musealität offensiv verteidigt. Material, Farbe und Form der Einzelfiguren, die Proportionen des Aufbaus und die auf den Raum bezogene Inszenierung, alles ist auf eine Bildwirkung berechnet, die mit dem Versprechen von Einfachheit und Überschaubarkeit in eine Falle lockt.

Die quittengelb gestrichene Madonna, die 1987 im Rahmen von „Skulptur Projekt in Münster“ für Aufregung sorgte, kehrt nun in der strengen Formation eines zylinderförmigen „Warengestells“ wieder zu ihrem Ursprung, der massenhaft produzierten Devotionale, zurück. Immer wieder hat man bei den mit trivialem Zeug genau kalkulierten Inszenierungen der 1956 in Essen geborenen Künstlerin das Gefühl, eigenen Erfahrungen und bekannten Phänomenen ziemlich ratlos gegenüberzustehen. Beim gelben Turm der Madonnenfigürchen dürfte es ein Rest von Lourdes-Gläubigkeit sein, der die Atmosphäre undefinierbar macht. Aufgestapelte, mattweiß getönte Gipsabgüsse eines menschlichen Gehirns mögen in der gegenwärtigen Debatte über das Klonen wie ein cooler Künstlerkommentar erscheinen. Doch für die ambivalente Bildwirkung des Ensembles zählt auch – nicht anders als bei den filigranen Stapeln schwarzer Katzen und bebilderter Vasen – der Hinweis auf sorgfältige Produktgestaltung.

Ein Säugling, schneeweiß, zart und geschlechtslos, liegt auf einem gelben Stern und streckt seine Ärmchen aus. „Kind mit Pudeln“, 1995/96, verleugnet seine Herkunft aus Bethlehem nicht. Umringt wird das Neugeborene in vier konzentrischen Kreisen von 224 schwarzen Pudeln, alle von gleicher Machart und Größe. Bewachung oder Angriff? Jede Antwort, die eine kausale Beziehung zwischen dem Jesuskind und der zur Unbeweglichkeit verdammten Pudelmeute herstellen wollte, wäre monströser Unsinn.

Hält man sich dagegen ohne „klärenden“ Kommentar an das, was man sieht, dann öffnet sich der Raum für unreine Empfindungen und Vorstellungen, die ihre Energien aus der Komik solcher Aufmarsch-Ästhetik ziehen. Um die eigenen Erfahrungen in Bildern zu konzentrieren, die allgemeinverständlich, offen und widersprüchlich zugleich sind, greift Katharina immer wieder auf die Tiersymbolik der Alltagssprache und auf Mythen zurück, in denen Menschen sich in Tiere verwandeln. Leider muß man in Basel auf so treffliche Werke wie „Rattenkönig“ und „Mann und Maus“ verzichten.

Der Möglichkeit, mißverstanden zu werden, hat Fritsch sich in „Lexikonzeichnungen“ von 1997 ausgesetzt, vermutlich mit der Absicht, Interpretationen zu provozieren, die ihre Autoren entlarven. Die schwarzweißen Siebdrucke, die in Strichzeichnungen über „Lebensalter“, „Nasen“, „Mißbildungen“ und „Wachstumsstörungen“ aufklären, sind vergrößerte, aber sonst kaum veränderte Zeichnungen aus einem Bildwörterbuch von 1936. Anstatt sie als Bilder einer standardisierten Wahrnehmung zu nehmen, die außerhalb ihrer spezifischen Lexikonfunktion (heute nicht anders als damals) Ausdruck von Bequemlichkeit und einer gewissen Neigung zur Pauschalisierung sind, hat man der Fritsch das Schlagwort „Nazi-Ästhetik“ um die Ohren geschlagen.

Antwort darauf könnte die Skulptur „Gespenst und Blutlache“ sein, wäre sie nicht vor den Zeichnungen entstanden. Ein Gespenst ohne besondere Kennzeichen, das jedermanns Schrecken aus Kindertagen und alle Ausgeburten böser Phantasien unter sein weich fallendes, schneeweißes Laken nimmt und das sich unberührt zeigt von dem, was da wie ein menschlicher, dunkelvioletter Schatten über den Boden kriecht.

Für Katharina Fritsch ist die Trivialisierung der Gegenstände eine ernste Sache, die äußerste Präzision in der materiellen Ausführung verlangt. Sie versteht ihre Kunst als „Rekonstruktion“ privater und kollektiver Erfahrungen in möglichst selbstverständlichen Bildern. Bei den zirkulären und axialsymmetrischen Großskulpturen vertraut sie auf die Wirkung von stereotyper Wiederholung und Geschlossenheit. Das kann leicht in die Sackgasse eines neuen Klassizismus führen. Doch Katharina Fritsch benutzt Eindeutigkeit und Vollkommenheit der äußeren Form als Folie für Vieldeutigkeit und Offenheit der Bildaussage. Die einzelnen Werke – in Basel acht Skulpturen in weiträumiger Aufstellung, „Grauer Raum mit Mühlengeräusch“ und „Lexikonzeichnungen“ – umgibt ein atmosphärisch dunkler Horizont, der sich durch Erklärungen kaum aufhellen läßt.

Bis 31.August, Museum für Gegenwartskunst Basel. Das Katalogbuch kostet 45 Schweizer Franken

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen