■ Nachschlag: "Bezahlt wird nicht!" von Dario Fo von den Ratten 07 und in Lübars
Nicht sehen, nicht bezahlen Foto: Thomas Aurin
Das Neue entsteht an den Rändern, „die Dörfer kreisen die Städte ein“ (Mao Tse-tung). Träfe dies zu, stünde die Rückkehr des Politischen auf die Bühne bevor. Dann wäre das Neue das Alte, und das Theater würde wieder mitmischen im Kampf Arm gegen Reich. „Bezahlt wird nicht!“ rufen die Frauen, plündern den Supermarkt und schleppen die Beute als Schwangere getarnt nach Hause. Mit Hilfe der heiligen Eulalia nasführen sie die Staatsbüttel und überzeugen ihre aufrechten Kommunisten-Männer von der neuen Taktik im Klassenkampf. Als Dario Fos Farce um zwei Arbeiterfamilien 1974 in einer besetzten Mailänder Markthalle aufgeführt wurde, handelte es sich um eine Fiktion. Wenn die Unternehmer uns Lohn, Brot und Wohnungen entziehen, trefft sie, wo es wehtut – bei den Waren. Zwei Jahre später holte die Realität die Bühne ein. In den Ghettos am Stadtrand stellten die Bewohner aus Protest ihre Zahlungen für Strom, Gas und Miete ein und erfanden den „Einkauf zu angemessenen Preisen“. Wegen Aufforderung zu strafbaren Handlungen mußte sich Dario Fo vor Gericht verantworten.
Zwanzig Jahre später wird in Berlin wieder Dario Fo gespielt, unter einem barockisierenden Deckengemälde im Lab Saal in Lübars. Eve Slatner hat die Amateurtruppe des Vereins Natur & Kultur e.V. aufs trefflichste zum Spiel animiert. Elisabeth Schmidt berlinert hinreißend als Antonia, und Hans-Dieter Venskes Giovanni ist ehrlich geschockt über sein Ehegespons, die vermeintlich so blöd ist, sich die Frühgeburt ihrer Freundin einpflanzen zu lassen – aber trotz allen Eifers fehlt das Tempo, um Fos Solidaritätsschmonzette zu einem Leben nach dem Tod zu erwecken.
Die Ratten 07 spielen nicht so gut Theater wie die Bürger von Lübars. Das macht nichts. Denn das Spiel der Obdachlosen im Prater zielt ohnehin mehr auf Selbstverständigung und eigenen Spaß. Während in Lübars vor anstehenden sozialen Unruhen komisch gewarnt wird, ist die Sache für die Säufer und Penner längst gelaufen. „Geld züchtet Scheiße im Hirn“, ist die Botschaft der in zauberhaften Häkelkostümen (Michaela Barth, Heinz Wienke) sich selbst verscheißernden Truppe. Dennoch: Die listige Weisheit, mit der Rauschebart Heinz K., als Blaulicht-tragender Polizei-Maoist den Schaumgummiknüppel schwingt, um den klassenbewußten Spießern die soziale Realität einzutränken, ist sehenswert. Einstweilen harren wir weiter der Auferstehung des politisch Theaters. Nikolaus Merck
Prater, 12./13.,18./19. und 21. 6., Kastanienallee 7–9, Prenzlauer Berg; Im Lab Saal, Alt-Lübars 8, 31. 5., 1. 6.
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