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„Estonia“-Kommission versinkt

Wenn Verantwortliche über sich selbst zu Gericht sitzen: Einen Schuldigen an der Fährenkatastrophe soll es offenbar nicht geben. Die Beweise verrotten am Meeresgrund  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Vor fast drei Jahren versank das Fährschiff „Estonia“ im Meer. Nun ist die Kommission, die eigentlich die Ursachen des schwersten Schiffsunglücks im Nachkriegseuropa aufklären sollte, auf dem gleichen Weg. Vorläufig letztes Kapitel in einer Reihe von „Merkwürdigkeiten“ und gezielten Indiskretionen: der Abgang des schwedischen Kommissionsvorsitzenden Olof Forssberg, nachdem er beim Lügen erwischt wurde (taz von gestern).

Warum Forssberg seine Karriere als langjähriger Spitzenbeamter aufs Spiel setzte, um bezüglich der Kenntnis eines Briefs aus dem Jahre 1959 zu lügen, der noch dazu auf den ersten Blick keinen direkten Bezug zur „Estonia“ hatte, läßt in Schweden mittlerweile die Spekulationen blühen. Klar wird aus diesem Brief, daß schon damals die Seesicherheitsbehörde bei der Genehmigung von Fähren gegen internationale Sicherheitsbestimmungen verstieß, um die Reedereien ökomomisch nicht „unnötig“ zu belasten. Sinn scheint die doppelte Lüge des Chefs der Havariekommission, weder den Brief bekommen zu haben noch seinen Inhalt zu kennen, nur zu machen, wenn dies lediglich die Spitze eines Eisbergs organisierter Verantwortungslosigkeit ist.

Der Rapport der „Estonia“- Kommission soll eventuell im Sommer erscheinen. Betroffen sind vor allem die Angehörigen von Opfern, die sich von dem Bericht Hilfe für eine Feststellung der juristischen Schuld erhofft hatten. Nach fast drei Jahren sind wesentliche Beweismittel für immer auf dem Meeresboden versunken. Und eine Verantwortlichkeit für einen möglichen Baufehler der Werft ist nach Auffassung der schwedischen Staatsanwaltschaft bereits verjährt.

Unter dem unmittelbaren Schock der Katastrophe wurde die Kommission von Estland, Finnland und Schweden eingesetzt. Sie machte jedoch vor allem durch interne Streitereien auf sich aufmerksam. Am Tisch sitzen nämlich – und dies wurde nach ersten Analysen der Ursachen des „Estonia“- Untergangs schnell klar – Vertreter von Regierungen und Behörden, die selbst ihr gerüttelt Teil an der Schuld tragen.

Die Seefahrtsbehörden Finnlands und Schwedens hatten der späteren „Estonia“ bzw. einem baugleichen Schwesternschiff die Betriebsgenehmigung erteilt, obwohl deren Bugklappenkonstruktion gegen internationale Bestimmungen verstieß. Die Vertreter der estnischen Regierung hatten offenbar das Hauptziel, alle Schuld von der staatlichen Reederei und der von dieser angeheuerten Besatzung abzuschieben. Auch bei den Schiffsbauern der Meyer- Werft in Papenburg wird man seit einiger Zeit wieder gut schlafen können. Nicht nur, daß dort keine Traurigkeit über den Glaubwürdigkeitsverlust der Kommission herrschen dürfte: offenbar saß die Werft indirekt immer mit am Tisch. Drei Briefe sind in den letzten Monaten bekanntgeworden, in welcher das – mittlerweile verstorbene – schwedische Kommissionsmitglied Börje Stenström der Werft gelobt, keine klare Verantwortlichkeit und allzu harte Kritik ihr gegenüber im Schlußbericht laut werden zu lassen. Mehrere Schiffsexperten hatten die unmittelbare Ursache am „Estonia“-Untergang bei der Meyer-Werft plaziert: Dort wurde die – genehmigte – Fehlkonstruktion nicht nur gebaut, sondern dort soll auch ein technisch unverantwortlich schwacher Verschlußmechanismus eingebaut worden sein, der auslösender Faktor dafür wurde, daß die Fehlkonstruktion der „Estonia“ zum Verhängnis wurde.

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