: Die Petersburger Stimmen Gottes
■ Drei Petersburger Autoren zu Gast in Hamburg sprechen über sich, ihre Stadt und die Wahrheit
Das Literaturhaus hat Besuch aus Rußland. Drei Petersburger Autoren sind im Rahmen der „Woche der Städtepartnerschaften“eingeladen, neue Texte zu lesen: Arkadij Bartow, Wladimir Schinkarjow und Arkadij Dragomostschenko. Heute kommt der Ex-Petersburger Oleg Jurjew mit seinen Leningrader Geschichten hinzu. Die Petersburger Autoren über sich, ihre Stadt und ihre Arbeit:
taz: Wie findet Literatur in Petersburg statt?
Dragomostschenko: Hierfür gibt es die großen Zeitschriften wie Neva und Zvezda, die die konventionellen Sachen drucken, und dann gibt es die kleine Presse. Dazu gehören Quartalsschriften wie Mitin Jurnal, das eine Auflage von 1500 hat und ein wichtiges Forum für viele Petersburger Autoren ist. Ich bin selbst an der Zeitschrift Komentari beteiligt. Sie ist kosmopolitisch. Wir suchen international nach neuen Namen und kulturellen Trends, die wir nach Rußland bringen wollen.
Gibt es Lesungen?
Dragomostschenko: Lesungen haben bei uns eine große Tradition, wie Literatur überhaupt. Dichter galten früher als die Stimme Gottes, die Stimme der Wahrheit. Langsam spricht sich herum, daß Schriftsteller etwas Eigenes und Neues schaffen, egal ob es wahr erfunden ist.
Wo treffen sich Schriftsteller in Petersburg?
Dragomostschenko: In der Borej Art Gallery zum Beispiel. Dort finden auch Ausstellungen und Lesungen statt.
Was hat sich in den letzten Jahren in der Literaturszene verändert?
Dragomostschenko: Früher gab es ein Massenpublikum. Wenn etwas gedruckt wurde, lasen es gleich 20 Millionen. Heute spielt sich Literatur in kleineren Kreisen mit Spezialpublikum ab. Aber eines hat sich nicht verändert: In Rußland fragt man immer, wer der Größte ist. Der wird dann bewundert. Vor etwa 10 Jahren war das Brodski, der ist seitdem heilig.
Wie haben sich das Ende der Sowjetunion und die veränderten Lebensbedingungen auf eure Arbeit ausgewirkt?
Schinkarjow: Es scheint, als sei alles besser geworden, aber sicher bin ich mir da nicht.
Dragomostschenko: Ich habe alles über die Sowjetunion vergessen.
Bartow: Meine Arbeit hat nichts mit Lebensbedingungen zu tun, weder mit sozialistischen noch mit kapitalistischen. Ich stelle Modelle für menschliches Verhalten auf. Die Literatur hat sich natürlich verändert. Die Moderne war binär, es gab den Gegensatz als Prinzip. Die Postmoderne ist synkretistisch.
Dragomostschenko: Der arbeitet wie ein Mathematiker.
Bartow: Ich bin beides. Mathematiker und Schriftsteller.
Was unterscheidet die zeitgenössische Literatur in Ost und West?
Bartow: In Rußland gab es eine sehr kleine Spanne zwischen Prä- und Postmoderne. Wir haben 70 Jahre Sowjetunion hinter uns, die wir nicht ausradieren können.
Schinkarjow: Wir haben die Potemkinschen Dörfer hinter uns.
Bartow: Die Postmoderne hat in Rußland ideologische, nicht technologische Ursachen.
Was ist aus dem Underground und den Schriftstellern im Exil geworden?
Schinkarjow: Die Verbindungen zum Exil sind sehr gut. Als ob wir nie getrennt gewesen wären.
Dragomostschenko: Von den Samizdat-Verlagen sind viele pleite, wer braucht sie schon noch? Das, was es heute an neuen Namen gibt, ist interessanter.
Schinkarjow: Interessanter schon, aber wer ist der Größte?
Fragen: Barbora Paluskova
Olej Jurjew und Arkadij Dragomostschenko lesen heute um 20 Uhr im Literaturhaus.
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