: Zum Fürchten gut
■ Das Jazztrio „Tricolor“spielte im KITO diesmal nur für ein Zuschauersextett
Wenn man als Musiker puren Jazz macht, noch unbekannt ist und zudem Deutscher, dann spielt man eher vor leeren als vor vollen Stuhlreihen. Auch solch eine geschickte Verpackung wie die Konzertreihe „Rising Stars“fehlte dem Hamburger Trio „Tricolor“am Dienstag im KITO, obwohl es ideal in diesen Kontext gepaßt hätte. Aber dort locken nur amerikanische Newcomer erstaunlich viel Publikum in die Jazzclubs, und gegen deren modisch-romantisches Flair können drei Jungs aus der Stadt nebenan wenig ausrichten. So saß das Trio nur einem zuhörenden Sextett gegenüber. Für dieses spielten die Musiker dann aber einen einstündigen Set, der einige der im KITO so umjubelten US-Jungstars das Fürchten gelehrt hätte.
Der Pianist Jens Thomas, der Bassist Stephan Weeke und Schlagzeuger Björn Lücker führten die Tradition der freieren Pianotrios weiter, in der Baß und Schlagzeug aus der undankbaren Begleitfunktion der Rhythmusinstrumente emanzipiert wurden. So spielten die drei wie gleichberechtigte Partner zusammen. Und bei den vielen musikalischen Ideen, die bei ihnen aus einem Überfluß an Talent und Spielfreude zu sprudeln schienen, war es oft schwer herauszuhören, wer von den dreien die anderen gerade in eine besondere Richtung geleitet hatte. Statt wie viele andere junge Jazzer mit ihrer Musik in die Breite zu gehen und möglichst viele verschiedene Stile poppig zu vermischen, gehen die drei in die Tiefe und loten die Möglichkeiten und Grenzen der einzelnen Stücke aus. So reduzierte Thomas bei der ansonsten schwärmerisch neoromantisch gespielten Ballade „In a quiet moment“sein Solospiel so weit, daß die einzelnen Töne tatsächlich an die Schwelle zur Stille stießen.
Bei anderen Stücken wurde die gemeinsame Improvisation so lange in der Schwebe gehalten, daß man glaubte, dieses Pulsieren könne endlos so weitergehen. Zwischen freiem Spiel, eigenwilligen Interpretationen von Standards wie „Autumn Leaves“und melodischem Wohlklang wechselten die drei so souverän und kraftvoll, daß Weeke im Eifer des Gefechts der Baßgeigenbogen zerbrach.
Vom Geld in der Eintrittskasse wird er sich kaum einen neuen Bogen kaufen können. Aber solche Auftritte so zu bewältigen, daß die paar treuen Hörer nicht hinterher enttäuscht nach Hause gehen, gehört auch zu den Künsten, die gute Performer beherrschen müssen. Thomas, Lücker und Weeke ließen ihr Publikum nie spüren, ob sie möglicherweise keine Lust hatten, im fast leeren KITO zu spielen. Und das war vielleicht der wahre künstlerische Erfolg dieses Abends. Egal, wie viele da waren. The show must go on.
Wilfried Hippen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen