Tiefflieger und der liebe Gott

■ Neues, einzigartiges Altarbild für Ostfriesland: Bei Hermann Buß müssen es die Menschen selbst richten

Wie Kühe in den Orchestergraben kommen die Bilder des Malers Hermann Buß in die Kirche. „Ich weiß auch nicht, warum ich den Auftrag bekommen habe,“rätselt der Maler aus dem ostfriesischen Norden schulterzuckend. Pastorin Silke Nitz ist begeistert. „Ich bin froh, Hermann Buß für das Altarbild unserer Kirche in Ardorf gewonnen zu haben.“Total hoffnungslos male der Mann, werfen ihm Kritiker vor. Sie geißeln seine brutale Distanz zu positiven Dingen des Lebens. Bei der Enthüllung seines Altarbildes für die Inselgemeinde Langeoog, vor zwei Jahren, hagelte es Proteste.

Die Gemeindekirche in Ardorf bei Wittmund ist aus dem 13. Jahrh., schlicht, derb. Die Vorfahren der heute 1200 Gemeindemitglieder waren arm. Heute ist wichtigster Arbeitgeber der Militärflughafen Wittmundhafen. Dessen Maschinen donnern im Tiefflug über Küste und Watt. 1956 wurde der Flugplatz ausgebaut und viele Höfe abgerissen, die Menschen umgesiedelt. Einen weiteren Ausbau verhinderte eine bundesweite Bürgerinitiative durch den Ankauf und die Bepflanzung eines flugplatznahen Grundstückes, dem Osterfeld.

Die Begeisterung für den Nationalsozialismus brachte den umliegenden Dörfern ab 1939 Kriegsgefangene als „Fremdarbeiter“, ein Gefängnis für politische Gefangene und ein KZ. „Ich kann in solch einem Zusammenhang nicht einfach einen Christus ans Kreuz malen,“sagt der Maler, „mit realistischen Mitteln zu arbeiten bedeutet nicht, Traditionalist zu sein.“

Die ersten Skizzen des Altarbildes für Ardorf liegen vor. Eine mit photorealistischen Mitteln komponierte surreale Collage. Zwar sind dort Elemente einer christlichen Metaphorik enthalten, Schiff, Lamm, Himmel, aber diese Motive können genausogut aus dem Ardorfer Alttag stammen. Die Collage aus sieben Einzelbildern lehnt sich an eine traditionelle Kreuzform an, präsentiert aber keinen frommen Gegenstand. Sie formuliert Möglichkeiten zu denken: Der liebe Gott wird es nicht richten, du mußt deinen Weg schon selbst finden.

Das Mittelbild zeigt die Dorfeingangsstraße im Winter. Kein Idyll, hart, kalt, schmutzig. Die Bäume am Rand geben dem Ganzen im Frühling ein sicher freundlicheres Aussehen. Bis dahin ist es aber noch lang. Der Weg zu seiner historisch gewachsenen Lebenswelt ist für jeden Betrachter anders. Es muß nur darüber nachgedacht werden. „Neben der Meditation soll das Bildzur Kommunikation anregen. Erfahrungen werden im Austausch mit anderen erlebbar. Ich finde, wenn dieser Austausch fair stattfindet, hat das schon was religiöses,“erklärt Hermann Buß.

Abgeschnitten über dem Mittelbild, ein Blick in den Himmel. Die Kondensstreifen kann in Ardorf jeder zuordnen, Tiefflieger. Aber Buß überläßt es den Ardorfern, sich über ihre militärischen Nachbarn auseinanderzusetzen, schließlich leben Militärgegner und Angestellte des Fliegerhorstes in der Gemeinde zusammen.

Zwei große Tafeln rahmen den Mittelteil ein. Rechts Flüchtlinge oder Kriegsgefangene oder KZ Häftlinge im Marsch durch das Dorf. Rechts BürgerInnen vor dem traditionellen Osterfeuer oder Mahnwache von Tieffluggegnern? Alle sind sie dem Dorf zugewandt, als gäbe es zwischen allen Gruppen Gemeinsamkeiten. Am Bildunterbau, der Pedrella, liegt ein gestrandeter Schiffsrumpf. Lamm und aufbrechendes Geländerelief zoomen Details als Bruchstücke von Wirklichkeit ins Blickfeld. Sie treiben Nägel ins Bild, zerstören Harmonie. Bei der photorealistischen Malweise von Buß kann man alle Fragmente erkennen, allein man muß sie sich selbst zusammensetzen. Nirgendwo erleichtert das liebe Jesuskind einen frömmelnden Zugang.

Am 9. Juni entscheidet die niedersächsische Lillje-Stiftung über die Förderungswürdigkeit des Projektes. Silke Nitz: Wenn wir kein Geld kriegen, wollen wir trotzdem unser Bild. schuh