piwik no script img

■ QuerspalteNotorische politische Erdrutsche

Es gibt Wörter, die werden notorisch falsch oder in völlig unsinnigen Zusammenhängen gebraucht. „Notorisch“ beispielsweise ist so eins. Die meisten Leute verwenden es, um einen in ihren Augen psychopathologischen Wiederholungszwang bei wem auch immer zu brandmarken, dabei heißt es wörtlich nur soviel wie „bekanntermaßen“ oder „aktenkundig“ und hat von vornherein nichts unbedingt Negatives. Apropos negativ: „Positivismus“ und „positivistisch“ haben ein für allemal nichts mit Optimismus oder optimistisch zu tun. Man kann es noch so oft sagen, der assoziative Bannstrahl, der von diesem eher verhaltenen und wenig euphorischen philosophischen Konzept ausgeht, ist jedem Argument haushoch überlegen. Positivismus ist, wenn etwas positiv beurteilt wird, komme, was da wolle.

Ein weiterer, wenn auch etwas vertrackterer Kandidat ist die Floskel „mit gebremstem Schaum“. Was bitte hat man sich unter gebremstem Schaum vorzustellen? Doch wohl am ehesten gar nichts. Ich vermute, daß dahinter die Vorstellung vom Schaumteppich bei Notlandungen von Flugzeugen schlummert, die sich als Metapher verselbständigt hat. Allerdings müßte es dann wohl eher „mit bremsendem Schaum“ heißen, „mit Bremsschaum“ meinethalben, aber was soll's, wenn eh schon alles egal ist?

Kommen wir zur Nummer eins im Ranking der Besinnungslosigkeiten, einem Evergreen, dessen Hartnäckigkeit sich daraus speist, daß er regelmäßig zu Wahlterminen ausgepackt und via Bildschirm verstrahlt wird: die „erdrutschartigen Gewinne“; wahlweise auch als „erdrutschartiger Erfolg“ oder, kurz und vernichtend, „Erdrutschsieg“. Ob Blair in England oder Jospin in Frankreich, stets ist es der „Erdrutsch“, der grandiose Erfolge plastisch illustrieren hilft. Mir schwant: Die Tatsache, daß bisher noch niemand gegen diesen offenkundigen Schwachsinn aufbegehrt hat, deutet auf eine erdrutschartig emporschnellende Abgestumpftheit beim Publikum hin, die der der Kommentatoren in nichts nachsteht. Holm Friebe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen