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Künftig qualmt's nur noch aus dem Auspuff

■ Um das Unfallrisiko zu senken, soll in Polen Rauchen am Steuer verboten werden

Warschau (taz) – Straßenverkehrsordnungen reißen normalerweise niemanden vom Hocker. In Polen führt ein absurder Artikel der neuen StVO zum Aufstand: Das Rauchen am Steuer soll verboten werden. Zwar führt Polen, gemessen an der Bevölkerungszahl, die Todesstatistik bei Verkehrsunfällen in Europa an. Jeden Tag tragen Sanitäter 19 Tote vom Unfallort und 180 Verletzte ins Krankenhaus. Doch, so fragen Polens Raucher empört: „Was hat das mit unseren Pfeifen und Zigaretten zu tun?“ Die Abgeordneten im Sejm meinen: „Beide Hände gehören ans Steuer. Das erhöht die Sicherheit auf unseren Straßen.“

In einer Talkshow darf der Vorsitzende der „Gesellschaft zum Schutz der Raucher“ seinem Herzen Luft machen. „Ein Raucher“, erklärt er, „wird erst gefährlich, wenn er in einer Streßsituation nicht mehr rauchen darf. Der Zwangsentzug macht ihn nervös. Was ist die Folge? Ein Unfall!“ Außerdem müßten auch Nichtraucher beim Schalten eine Hand vom Lenkrad nehmen. Das Gesetz erhöhe nicht die Sicherheit auf Polens Straßen, es diskriminiere nur die polnischen Raucher.

Ein Warschauer Verkehrspolizist hält die Vorschrift für realitätsfern: „Wir sollen darauf achten, daß die Autofahrer angeschnallt sind, daß sie keine Kopfhörer tragen und nicht mit einem Handy telephonieren. Sollen wir nun die Raucher rauswinken und ihnen Strafzettel verpassen? Da kommt der ganze Verkehr zum Erliegen!“

Das geschieht ohnehin schon jeden Tag in allen größeren Städten Polens: In den Stoßzeiten wälzt sich eine endlose Blechlawine durch Gassen, Alleen und Stadtautobahnen. Seit der Wende hat sich die Zahl der in Polen zugelassenen Personenkraftwagen verdoppelt. Teilten sich 1990 noch 4,5 Millionen Pkw das Straßennetz, sind es in diesem Jahr über acht Millionen. Hinzu kommen Lastwagen, Motorräder und Traktoren, zusammen 11,5 Millionen Fahrzeuge. Zudem verstopft der Transitverkehr die Straßen: Im letzten Jahr durchquerten 26 Millionen ausländische Wagen das Land.

Der Preis für die neue Mobilität ist hoch: Die Zahl der Unfälle steigt jedes Jahr. Die neue StVO sollte dem entgegenwirken. Doch der Danziger Professor Ryszard Krystek, der ein langfristig angelegtes Sicherheitskonzept für Polens Straßen entwickelte, ist enttäuscht. Die Diskussion um das „Raucher-Verbot“ lenke vom eigentlichen Problem ab: der verheerenden Unfallstatistik.

In den ersten vier Monaten dieses Jahres erreichte die Zahl der Unfallopfer in Polen mit 1.342 Toten eine neue Rekordhöhe. Schuld sind laut Krystek zum einen schlecht ausgebaute Straßen, unbeleuchtete Baustellen, fehlende Markierungen und Schlaglöcher. Problem Nummer zwei ist die schlechte Ausbildung der Verkehrsteilnehmer. Da die Fahrschulen keiner staatlichen Kontrolle unterliegen, fehlen selbst den Fahranfängern elementare Kenntnisse in Praxis und Theorie.

Problem Nummer drei ist der Geschwindigkeitsrausch. 80 Prozent aller Autofahrer fahren regelmäßig schneller als sie dürften. über ein Viertel aller Verkehrstoten in Polen sind Opfer einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Zwar hat der Senat letzte Woche das „Raucherverbot am Steuer“ abgelehnt. Nun muß sich der Sejm erneut mit der Straßenverkehrsordnung beschäftigen. Gabriele Lesser

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