: Bedarf an versierten Barkräften
Das Restaurant im Erdgeschoß hat schon auf, der Überbau wird folgen: Nach mancherlei Querelen öffnet morgen das Literaturhaus München. Knüller zum Einstand: mit scheuen Lieblingsautoren live auf du und du ■ Von Michael Schweizer
Noch nicht andeutungsweise ist die Dämmerung hereingebrochen, und schon sitzen ein paar tausend Seiten Münchner Prosa an kleinen Tischen auf feinem Parkett und trinken. Edel einsam die Herren oder mit blinkenden Anhängerinnen, die sich noch mehr Luxus leisten können als Literatur. Es ist im Dukatz ein bißchen wie im Schumann's, der von ortsansässigen Wortwerkern ausdauernd frequentierten Bar in der wenige Gehminuten entfernten Maximilianstraße. Einige Autoren scheinen beide Lokale zu fördern. Zu essen gibt es im Dukatz das gehobene, bistroübliche Grün- und Magerfutter, das nach Weißwein ruft. Für Münchner Verhältnisse sind die Preise erträglich, und wer beim creative writing gescheitert ist, hat hier eine Alternative: „Versierte Service- und Barkräfte und Spüler in Voll- und Teilzeit“ können sich über Nachfrage freuen.
Vier Tage vor der offiziellen Eröffnung des Literaturhauses München am 7. Juni wirkt das im Erdgeschoß gelegene Lokal wie eine Basis, deren Überbau sich noch nicht ganz entfaltet hat. In den oberen drei Etagen hängen Kabel aus der Wand, Handwerker schleppen Werkzeuge und Farbkübel durch die Flure, so daß Reinhard Wittmann Angst um den prächtigen Boden bekommt. Aber selbst wenn vor der Einweihungsfeier nicht alle Flecken weggewischt würden: der Literaturhaus-Chef steht einem Juwel vor. Große, hohe Altbauräume bestimmen die Atmosphäre. Der Veranstaltungssaal und die Seminarzimmer im dritten Stock geben einen herrlichen Blick auf die Dächer rund um den Salvatorplatz. Das durchgesetzt, dafür Geld lockergemacht zu haben, ist eine Leistung, und wer diese Umgebung nicht mit Leben füllt, ist selbst schuld. Dabei hatte es zeitweise schlecht ausgesehen. Als die Bayerische Vereinsbank, einer der Hauptsponsoren beim Umbau des Hauses, sich vor ein paar Wochen weigerte, die zusätzliche Million Mark herauszurücken, mit der Wittmann einen Teil des laufenden Betriebs finanzieren wollte, geriet der Hausleiter in die heftige Kritik der lokalen Presse. Mit nicht zugesagtem Geld habe er einen „Phantasieetat“ kalkuliert, und daß er nun verlange, die Stadt solle für die sparsam gewordenen Banker einspringen, sei eine „Unverschämtheit“ (Süddeutsche Zeitung). Es kam zu einer Krisensitzung, in der Wittmann auf Wunsch von Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) als Geschäftsführer des fünfköpfigen Vorstands der Stiftung Literaturhaus zurücktrat. Zahlen mußte die Stadt nicht: Private Spender, darunter der Filmproduzent Bernd Eichinger, ein ehemaliger Mitschüler Wittmanns, brachten 500.000 Mark auf, mit denen das umfangreiche Veranstaltungsprogramm zunächst einmal gestartet werden kann.
Die in diesem Fall etwas notnagelhafte kommunal-privatwirtschaftliche Mischfinanzierung gehörte von Anfang an zum Konzept des großangelegten Projekts. 1993 beschlossen im Stadtrat SPD, CSU und FDP gegen Grüne und „Republikaner“ die Einrichtung des Hauses. Es war eine Koalition der sonst heterogenen Kräfte, die München wider den Augenschein für eine richtige Großstadt halten. Zu diesem gehörte auch der damalige Oberbürgermeister Georg Kronawitter (SPD), in den siebziger Jahren als „Jusofresser“ bekannt und als solcher kein Freund seines jetzt amtierenden Nachfolgers. Bei einer so breiten Mehrheit brauchte nicht gekleckert zu werden: Die Stadt steckte in den 1995 begonnenen Umbau der ehemaligen Herrnschule/Salvatorschule letztlich zwölf statt der zunächst vorgesehenen acht Millionen Mark; das Zähneknirschen hielt sich in Grenzen, weil auch die privaten Sponsoren, unter ihnen die Versicherung Allianz, die Bayerische Landesstiftung, Bertelsmann und andere Verlage mit Sitz in München, nachlegten (ihr Beitrag: 40 Prozent der Gesamtkosten). Auch nützliche Beziehungen spielten eine Rolle: Wittmann und Kulturreferatsleiter Siegfried Hummel taten sich mit Ulrich Wechsler, dem früheren Bertelsmann-Vorstandssprecher Buch, zusammen.
Für inhaltliche Arbeit und Verwaltung rechnet Wittmann mit einem jährlichen Bedarf von zwei Millionen Mark. Ein Viertel davon hat die Stadt der Stiftung Literaturhaus, deren Vorstand außer Wechsler, Wittmann und Hummel der Schriftsteller Uwe Timm und die Verlegerin Antje Kunstmann bilden, auf Dauer fest zugesagt. Eine Million sollen die Mieter im ersten und zweiten Obergeschoß einbringen, zu denen die Akademie des Deutschen Buchhandels, der Verband der Bayerischen Verlage und Buchhandlungen sowie das Institut für Urheber- und Medienrecht zählen, insgesamt eine Verbindung von Literaturnähe und Zahlungskräftigkeit, die es so massiv wohl in keiner anderen inländischen Stadt gibt. Für die noch fehlenden 500.000 Mark im Jahr hoffen die Betreiber weiterhin auf private Spender.
Gewirbelt haben muß das sechsköpfige Literaturhaus-Team. Zum Eröffnungsfest gehört eine dreistündige „Autorensprechstunde“: „Jeder Besucher kann sich seinen Autor suchen, der dann exklusiv für ihn eine kurze Zeit lesen oder sich mit ihm über Literatur unterhalten wird“, und was für scheue Leute sich neben allgemein bekannten Lärmkästen dazu bereit erklärt haben, ist schon erstaunlich. Die erste Ausstellung gilt Michael Ende, dazu kommen eine Werkschau zu Paul Wühr, eine Jörg-Fauser-Nacht, das Comicfest München und Kreatives-Schreiben-Kurse. Für den Herbst ist die Reihe „Wir sind die letzten, fragt uns...“ angekündigt. Schulklassen sollen mit Zeitzeugen wie Edgar Hilsenrath und Ruth Klüger zusammentreffen.
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