"Knüppel mittragen"

■ Martin Jänicke fordert von der Regierung Kohl den zugesicherten Umweltplan: Die Bremser aus der Industrie sollen mit an den Tisch

taz: Haben wir umweltpolitisch den Anschluß verloren?

Martin Jänicke: Deutschland hat sich mit der Kohl-Regierung, insbesondere weil die Grünen in den Bundestag kamen, ab 1983 bis 1994 zum Öko-Vorreiter entwickelt – das hat sich auch in Rio gezeigt. Mit dem Wechsel von Umweltminister Töpfer zu Angela Merkel, der Regierungsumbildung 1994, trat eine Zäsur ein: Heute sind wir nur noch im oberen Mittelfeld anzusiedeln. Der Bericht, den das Umweltministerium Ende Juni in New York auf der UN-Vollversammlung zur Rio-Bilanz vorlegen muß, taugt nicht viel. Ein sehr unverbindlicher Text – nur ganz beiläufig werden Einzelziele genannt. Da ist keine Strategie zu erkennen.

Deutschland hat seine Versprechungen von Rio nicht gehalten?

Dort wurde mit der Agenda 21 beschlossen, auch auf Drängen Deutschlands, daß eine Strategie zu einer nachhaltigen Entwicklung entworfen wird, ein nationaler Umweltplan. Töpfer hatte versprochen, den bis 1994 zu liefern. Das ist nicht geschehen. Die Agenda 21 sieht zum Beispiel mehr Bürgerbeteiligung vor. Die wurde bei uns aber in der Verkehrs- und Bauplanung eingeschränkt. Wir haben uns rückwärts bewegt.

Währenddessen haben andere Länder gehandelt.

Zwei Drittel aller Industriestaaten haben inzwischen einen Umweltplan. Die fortschrittlichsten sind die Niederlande, Dänemark und Schweden, aber auch Süd- Korea. Sogar Dritte-Welt-Länder wie Costa Rica haben eine formelle Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt. Interessanterweise haben gerade solche Länder viel getan, die in den Weltmarkt stark integriert sind.

Mehr Umweltschutz läßt die Industrie also nicht abwandern?

Definitiv nicht: Die Industrie wandert zu billigen Löhnen und zu neuen Märkten. Wegen des Umweltschutzes gibt es das kaum.

Woran hapert es im Umweltschutz?

Es werden nur solche Probleme behandelt, die sich über die Medien vermitteln lassen: Vergiftungen oder Explosionen – Risiken, die sichtbar sind und betroffen machen. Alles, was sich schleichend verändert, Flächenverbrauch, Artenschwund und Treibhauseffekt, da ist es schwer. Hier greift der Umweltplan: Statt Smogalarm schlagen die Forscher Alarm.

Wie funktioniert der Plan?

Statt bürokratisch zu verordnen, werden die Verursacher einbezogen und Lösungen im Konsens gesucht. Die Basis der Umweltpolitik wird verbreitert: Auch Branchen, Firmen und Städte sowie Umweltschützer werden einbezogen. Umweltschutz ist keine Zusatzleistung mehr, sondern die widerstreitenden Interessen – Verkehr, Energie, Bau, Wirtschaft – sind integriert. Der holländische Umweltplan etwa wurde von fünf Ressorts unterschrieben.

Aber woher kommen die Änderungen, wenn die Blockierer mit am Tisch sitzen?

Die Verursacher werden wissenschaftlich mit den Folgen ihres Handelns konfrontiert. Sie kriegen die Daten vorgelegt und die Frage gestellt: Was ist euer Beitrag zu Lösung? Natürlich werden auch neue Lösungswege vorgestellt, die Verursacher erhalten Know-how.

Auch Merkel macht Runde Tische – fast wöchentlich irgendwo.

Da sind ja keine verbindlichen Treffen. Zum Verfahren gehören Spielregeln: Jeder muß sich auf neue Ziele einlassen, der Prozeß muß kontinuierlich sein, und alle zwei Jahre muß Rechenschaft abgelegt werden.

Ist es nicht naiv, auf Selbstverpflichtungen zu setzen?

Es ist wichtig, das verbindlich zu organisieren. Zunächst nationale Vorgaben, damit nicht jeder macht, was er will. Außerdem empfiehlt es sich, nicht nur mit Verbänden, sondern auch direkt mit Firmen Verpflichtungen und Fristen auszuhandeln. Man soll sanft sprechen, aber einen dicken Knüppel mit sich tragen. Im Hintergrund muß die staatliche Sanktion drohen, dann funktioniert Freiwilligkeit ganz hervorragend.

Süd-Korea hat neben Holland den am weitesten entwickelten Umweltplan. Die haben schon die erste Periode ausgewertet: So wurde etwa die Luft in Seoul sauberer als geplant. Auf der anderen Seite verfehlten sie ihr ehrgeiziges Ziel beim Müll. Hier greift nun ein Mechanismus, der zur Verschärfung der Maßnahmen führt. Nur so funktioniert der Plan.

Können wir uns heute mehr Umweltschutz noch leisten?

Das ist eine falsche Sicht der Dinge. Ökologische Modernisierung kann erheblich Kosten senken: Transportwege werden kürzer, Energie, Wasser und Material werden gespart. In den USA wurde bei 70 Chemiefirmen untersucht, wie rentabel Umweltmaßnahmen waren: Zwei Drittel hatten einen Kostenvorteil. Ich empfehle, in Deutschland für die nächsten fünf Jahre erst mal nur Maßnahmen, die auch wirtschaftlich Vorteile bringen, sogenannte Win-win-Lösungen. Damit das in die Köpfe geht.

Sie preisen den Plan an wie ein Allheilmittel.

Der Plan ist nur so gut wie der Wille der Gesellschaft zum Umweltschutz. Aber er bietet eine Verständigung über Probleme, Möglichkeiten und Ziele. Es ist ein strategischer Ansatz, der Umweltpolitik kalkulierbar macht – nicht zuletzt für Innovateure. Interview: Matthias Urbach