piwik no script img

Halleluja-Rufe und kein Ende

Heute wird Papst Johannes Paul II. in Dukla den Mönch Jan heiligsprechen. Die polnische Kleinstadt hat sich gründlich vorbereitet. Die Bewohner erwarten nicht nur den hohen Gast, sondern auch das große Geschäft  ■ Aus Dukla Gabriele Lesser

Der Panzer mußte weg. Ein sowjetischer Panzer vor einem Kloster – wo gibt's denn so was? Und der Papst, der fällt ja in Ohnmacht, wenn er das Monstrum sieht!“ Krystyna Mastyka bebt vor Empörung. Die resolute Rentnerin holt eine Handvoll Fotos aus ihrer Handtasche. „Hier: Vor zwei Wochen stand der Panzer noch am Eingang von Dukla. Manche Touristen dachten, sie kommen in ein Kriegsgebiet.“ Sie hält kurz inne, überlegt: „Und sie hatten natürlich recht! In den Köpfen war der Zweite Weltkrieg noch nicht zu Ende. Hier haben sich doch alle gegenseitig abgeschlachtet: Russen, Ukrainer, Slowaken, Polen und Deutsche. Über 200.000 Tote hat es gegeben. Damit muß jetzt endlich Schluß sein! Der Panzer kommt weg und das Versöhnungskreuz hin!“

Bis kurz vor dem Besuch von Papst Johannes Paul II. waren in Dukla, einem verschlafenen Grenzstädtchen im Südosten Polens, letzte Vorbereitungen getroffen worden. Bauarbeiter verankerten vor dem Bernhardinerkloster das acht Meter hohe „Versöhnungskreuz“. Die BewohnerInnen sparen nicht mit Kommentaren: „Das soll Kunst sein? Da hätte man auch den Panzer stehen lassen können.“ Der ordensgeschmückte Veteran schüttelt den Kopf. „Und diese Hände!“ mißbilligt ein zweiter. „Die sehen ja aus, als streckten sie sich aus dem Grab heraus. Was für ein Horror! Jetzt kommen die Toten zurück.“

Den Warschauer Bildhauer Maksymilian Biskupski verwundern diese Reaktionen nicht. „Meine Werke schockieren, weil ich die Wahrheit zeige, in diesem Fall die Opfer des Totalitarismus und des Krieges.“ 700 Hände strecken sich verzweifelt aus dem Kreuzesstamm nach oben, dort versuchen zwei mit einem Strick festgebundene ausgestreckte Arme die Hilfesuchenden nach oben zu ziehen. Vor dem Kreuz sollen einmal, wenn denn die für das Städtchen astronomisch hohe Summe von knapp 140.000 Mark zusammenkommt, zwei Bronzefiguren stehen: Jan aus Dukla, der Bernhardinermönch aus dem 15. Jahrhundert, und Papst Johannes Paul II., der den Mönch heute heiligsprechen wird.

Im Refektorium, dem Speisesaal des Klosters, wartet ein fliegender Händler auf einen der sieben Patres. Er zieht einen Taschenrechner aus der Jogginghose, tippt ein paar Zahlen ein und nickt befriedigt: „Das ist die beste Papstreise, die ich je erlebt habe. Da springt eine Indienrundreise für mich und meine Frau raus.“ Als Pater Wojciech Fraczyk mit klappernden Schlüsseln ins Refektorium gehastet kommt, zieht der Goldschmied aus Posen fünf Kartons aus dem Aktenkoffer: „Bitte sehr. Hier mein Angebot: Der Heilige Vater in Bronze, oxidiert, lackiert und absolut wasserfest. Nur zwei Zloty pro Anstecker. Das ist mein Sonderpreis nur für euch, die Bernhardinermönche. Ihr könnt sie dann für drei oder vier Zloty verkaufen. Na, ist das ein Wort?“ Der Mann in der braunen Kutte wirkt leicht indigniert. Kurz und säuerlich fertigt er den Geschäftsmann ab: „Wir handeln nicht mit Papst-Ansteckern!“

Der Abgewiesene packt die Anstecker wieder in den Koffer, überreicht dem Bernhardiner aber einen Karton: „Das sind fünfzig Anstecker. Wenn der Heilige Vater hier zu Abend ißt, sind sie ja bestimmt dabei. Dann könnten sie dem Papst einen Anstecker von mir überreichen und allen anderen auch. Kostenlos natürlich. Als ein Geschenk von mir. Und hier ist meine Visitenkarte. Wenn sie mal einen Anstecker brauchen oder auch etwas Wertvolleres. Ich arbeite auch in Gold und Silber.“

Ein Tischler schleppt eine Schleifmaschine und zwei Dosen Lack ins Refektorium: „Ich muß jetzt hier arbeiten.“ Pater Fraczyk schnürt den weißen Strick enger um die Taille, spurtet durch das halbe Kloster, weicht zusammengerollten Teppichen, ausrangierten Möbeln und Stoffballen aus, springt über Farbeimer und öffnet die Tür zu einem muffigen Besucherzimmer. „Daß Johannes Paul II. einen von uns heiligsprechen wird, das ist schon etwas Besonderes. Wenn Pater Jan nicht in bereits reifem Alter seinen bisherigen Orden verlassen und zu uns gekommen wäre, würde er heute sicher als Konventualer heiliggesprochen. Das sind zwar auch Franziskaner, aber sie nehmen die Armutsregel nicht so ernst wie wir. Für uns ist Jan, obwohl er schon seit 500 Jahren tot ist, ein großes Vorbild. Er lebte einige Jahre als Eremit nicht weit von hier in den Bergen, dann trat er in Lwow/ Lemberg in den Franziskanerorden ein, betreute dort die deutsche Gemeinde und wurde berühmt für seine Friedens- und Versöhnungspredigten. Wir versuchen auf seinen Spuren zu wandeln.“

Unerwartet wirft der knapp 40jährige Mönch den Schlüssel in die Höhe, fängt ihn wieder auf und ruft: „Avanti, avanti – zum Auto!“ Wieder hastet er durch die Gänge, diesmal zum Hinterausgang des Klosters. Dort mauern junge Männer eine Einfassung rund um den Schotterparkplatz. Pater Fraczyk klemmt sich hinter das Steuer des Fiat 126. Und schon knattert das Miniauto über die Landstraße, hoppelt über ein paar Feldwege und keucht einen Hügel hinauf. Auf dem Weg erzählt der Pater, daß Jan natürlich auch Wunder bewirkt habe, allerdings erst nach seinem Tod. „Als die Türken und Tataren wieder einmal Lemberg überfallen wollten und die Armeen schon vor den Toren der Stadt standen, verdüsterte sich der Himmel, und Jan aus Dukla erschien am Firmament. Die Angreifer nahmen reißaus, und die Polen und Litauer erklärten Jan zu ihrem Patron.“

Dukla sei eine hartgeprüfte Stadt. Immer wieder wurde sie überfallen oder von Bränden verwüstet. Nach der Schlacht am Dukla-Paß 1944 war von der Stadt nichts mehr übrig. Von den ehemals 4.000 EinwohnerInnen überlebten nur knapp 500, allerdings kein einziger Jude – sie hatten bis 1939 die Mehrheit der Bevölkerung in Dukla ausgemacht. „Von den Juden und ihrer Kultur zeugen heute nur noch eine Synagoge und ein Friedhof. Wir haben sie in dem Zustand von 1945 belassen. Beide sind Ruinen“, erklärt der Pater. Auch von den Polen sind nicht alle von der Zwangsarbeit aus Deutschland zurückgekehrt.“

Gegen Mittag liegt der Marktplatz in brütender Hitze. Eine Eisverkäuferin steht dösend vor ihren Waffeln, schläft offenen Auges und verscheucht nicht einmal die Fliegen, die ihren Kopf umkreisen. „Kulturzentrum“ verkündet das große Schild am Eingang des früheren Rathauses. Geboten wird Tischtennis, Krafttraining und Musikunterricht von 17 bis 22 Uhr. Darüber hängt ein Transparent: „Dukla wartet auf den Heiligen Vater.“

Eine kleines Bistro bietet Pizza, Pommes frites, Coca Cola und Lavazza an. Unter dem Sonnenschirm sitzt eine exotisch wirkende Touristin und schlürft einen Espresso. Als der Kellner das Radio lauter stellt und eine Papstpredigt über den Marktplatz hallt, steht sie auf: „Könnten Sie den Papst wohl abschalten?“ Der Kellner versteht nicht. „Seit zehn Tagen muß ich ständig, ja fast stündlich Papstpredigten hören. Das hängt mir jetzt ja bald zu den Ohren raus.“

Der Kellner dreht den Ton leiser. Im Verschwörerton sagt er: „Mir geht es genauso. Aber sagen Sie das mal laut hier! Einerseits bin ich froh, daß er kommt. Das Geschäft wird sich beleben. Jedenfalls habe ich meine ganzen Ersparnisse in den Papstbesuch gesteckt. Andererseits geht mir dieses Dauerhalleluja ziemlich auf die Nerven. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Nichts gegen den Papst!“

Die junge Frau bestellt noch einen Espresso: „Ich komme aus Gdansk/Danzig. Als Kind habe ich mal hier gewohnt. Ich kenne niemanden mehr hier. Und Sie sind der erste in Dukla, der auch mal einen kritischen Satz über die Lippen bringt.“ Der Kellner beugt sich über den Tresen und flüstert: „Hier haben die Wände Ohren. In Dukla wohnen nur 2.000 Menschen, alle sind katholisch, und alle gehen regelmäßig zur Beichte. Manchmal wird auch im Suff irgend was erzählt. Hier bleibt nichts geheim. Suchen Sie mal einen Papstgegner in Dukla! Sie werden keinen einzigen finden. Und deshalb sage auch ich, was alle sagen: ,Halleluja!‘“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen