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Junge von nebenan

Die Zeugen der Verteidigung zeigen den Oklahoma-Bomber als den All American Nice Guy  ■ Aus Washington Peter Tautfest

Dieser junge Mann könnte Ihr Enkel, Ihr Sohn, Ihr Bruder sein“, sagte Verteidiger Jones zu den Geschworenen. In der zweiten Phase des Prozesses gegen Timothy McVeigh, in der es um das Strafmaß geht, ist die Beweisaufnahme abgeschlossen. Nachdem die Staatsanwaltschaft Überlebende und Hinterbliebene des Bombenanschlags von Oklahoma City in ihren Aussagen die Schrecken dieses Aprilmorgens von vor zwei Jahren wiederaufleben ließ, vernahm die Verteidigung Anfang dieser Woche eine Reihe von Zeugen, die den Angeklagten im besten Licht zeigen sollten. Die US- amerikanische Familie dürfe ihn nicht ausschließen, seine Exekution nicht zulassen.

„Er war der nette Junge von nebenan“, erinnert sich John McDermott, der Nachbar der McVeighs in Pendleton, im ländlichen New York. „Tim war Babysitter für unsere Kinder“, ergänzt Elizabeth McDermott, er sei wunderbar gewesen und die Kinder hätten ihn geliebt, weil er immer etwas mit ihnen gespielt und auch so viel Zeit mit ihnen verbracht habe.

Lynn Drzyzga, die Mutter zweier Jungen, mit denen Timothy spielte, erzählt eine Geschichte, die Mark Twain geschrieben haben könnte: „Timothy hatte die Angewohnheit, barfuß durch die Straßen zu laufen, ich aber war auf Sauberkeit in meinem Haus bedacht, also mußte er sich Strümpfe überziehen, wenn er hereingestürmt kam. Anstandslos hat er meine Regeln respektiert, auch wenn es bei ihm zu Hause eher lockerer zuging.“ Jahre später, als Timothy längst nicht mehr barfuß ging, sondern mit dem Wagen vorgefahren kam, erinnerte er sich noch an das Gebot, nicht in Straßenschuhen ins Haus zu kommen, er trug ein paar saubere Socken über der Schulter und fragte verschmitzt, ob er sie überziehen solle.

Zu Mrs D., wie er sie nannte, entwickelte Timothy ein enges Verhältnis – eine Folge vielleicht davon, daß ihm seit der Scheidung eine Mutter fehlte. Von ihr verabschiedet er sich, als er in den Golfkrieg zieht mit der Vorahnung, er werde in einem Plastiksack zurückkommen. Sie habe bittere Tränen über seinen Abschied geweint, und sie weinte vor Gericht wieder, als sie versicherte, daß sie ihn immer lieben werde – wie einen Sohn.

Auch Vicki Hodge hält zu Timothy wie eine Schwester. Sie liebe ihn, wie sie ihn immer geliebt habe, seit sie sich in der vierten Klasse kennengelernt hätten. Kameraden waren sie, und das sind sie bis heute geblieben. „Wir haben gealbert und Quatsch gemacht“, sagt Vicki, er sei wie ein Bruder für sie gewesen. Aus dem Golfkrieg habe er ein-, zweimal geschrieben, vom Elend der heimischen Bevölkerung, der er von seinen Rationen abgegeben habe, und davon, wie schrecklich es für ihn gewesen sei, einen Menschen zu erschießen, der ganz gegen seinen Willen von Saddam Hussein in den Kampf geschickt worden sei.

Seine Kameraden und Vorgesetzten zeichnen das Bild eines vorbildlichen Soldaten. Er habe immer so adrett ausgesehen, sagt Hauptmann Daniels. „Das erste, was mir an ihm auffiel, als ich in seine Einheit kam“, berichtet sein unmittelbarer Vorgesetzter, Hauptmann Jesús Rodriguez, war, „daß morgens seine Stiefel blitzten und seine Uniform wie gebügelt aussah, während er abends von allen am dreckigsten war. McVeigh scheute keinen Auftrag, seine Rückmeldung beschränkte sich auf die Vollzugsmeldungen: Aufgabe erledigt! Wo andere nach Dienstschluß auf Frauensuche gingen, habe er Soldaten- und Waffenzeitschriften gelesen. Er sei ein ernster Soldat gewesen, einer, der seine Aufgabe ernst nahm.

Alle, die mit ihm im Golfkrieg waren, berichten, wie froh sie waren, daß Timothy McVeigh der Kanonier ihres gepanzerten Mannschaftswagens war. Er schoß schneller als der Feind, beherrschte die Elektronik seiner Waffen und schlief nachts im Bradley-Panzer statt im Zelt, um allzeit gefechtsbereit zu sein. Sein Schnellfeuergewehr trug McVeigh nie auf dem Rücken, sondern immer in der Hand. Verwundeten half er heldenhaft. Schießen konnte er wie ein Meister.

Kurzum: Die Verteidigung wollte einen vielversprechenden jungen Mann zeigen, den der Sturm des FBI auf die Davidianer- Ranch in Waco 1993 aus der Bahn geworfen hatte. Der Tod von 90 Davidianern habe McVeigh einen Schock versetzt und ihn für die Propaganda der regierungsfeindlichen Milizen empfänglich gemacht.

Was die Verteidigung tatsächlich zeigte, war, daß ein Musterknabe wie McVeigh, der aus den Kulissen eines heil gebliebenen Amerika von gestern in die Unordnung der Moderne katapultiert wurde, nur in der Armee seinen Lebensraum und -sinn finden konnte. In einer Armee allerdings, deren Tugenden sie so weit von just jener Welt entfernt hatten, die sie verteidigen sollte, daß der nach dem Ende des Kalten Kriegs in die zivile Gesellschaft entlassene Soldat in ihr nur eine feindliche Umwelt sehen konnte, die es zu bekämpfen galt.

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