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„Andere treffen sich beim Skat“

■ Der wissenschaftliche Direktor der Klinik für Tumorbiologie in Freiburg, Professor Gerd Nagel, 61, über alternative Heilmittel

taz: Sie überprüfen für das Land Baden-Württemberg unkonventionelle Mittel in der Tumormedizin. Warum verlangen Kranke nach Mistel und Homöopathie?

Gerd Nagel: Der Krebskranke will ein Selbsthilfekonzept entwickeln. Da bietet die Schulmedizin nichts an. Er ist gezwungen, zur Außenseitermedizin zu gehen. Dies birgt aber die große Gefahr, in die Hände von unqualifizierten Leuten zu geraten.

Welche unkonventionellen Methoden versprechen Erfolg?

Wir müssen immer zuerst fragen: Was soll das Ziel solcher Therapie sein? Es gibt in diesem Bereich keine Verfahren, die direkt ein Tumorwachstum beeinflussen. Es sind Hilfsmittel in der Hand des Patienten, um seine Abwehr, seine Lebensqualität zu verbessern. Sie geben ihm Sicherheit, diesen Weg als Krebspatient gehen zu können.

Das gehört in den Bereich der psychosozialen Gesundheit?

Zum großen Teil, ja. Nehmen Sie etwa Mistelpräparate, von denen belegt ist, daß die Nebenwirkungen der Chemotherapie weniger häufig auftreten. Zielerfolg der Mistel ist nicht die Beeinflussung des Tumors, sondern die Linderung von Beschwerden.

Reicht das nicht, um Mistel kassenfähig zu machen?

Diese Mittel sind Hilfsmittel, sie führen zu einer Entlastung des Patienten. Deswegen befürworten wir sie. Das Problem ist die Abgrenzung zu Scharlatanverfahren. Wir müssen immer die belegbare Wirksamkeit fordern. Diese Arzneimittel müssen sicher sein und immerfort in gleichbleibender Qualität herzustellen sein.

Handauflegen schmerzt nicht, hat keine Nebenwirkungen und soll helfen.

Linderung ist subjektiv. Der Patient sagt, mir geht's danach besser. Andere treffen sich beim Skat, und denen geht es besser. Das liegt alles im Bereich der subjektiven Lebensqualität. Doch es rechtfertigt nicht die offizielle Anerkennung.

Wie müßten Ergebnisse aussehen, die Sie anerkennen?

Es gibt einen Konsens über die Verifizierung der behaupteten Wirkungen. Die Homöopathie stellt sich dem. Ein Scharlatanverfahren stellt sich diesen Wirksamkeits-, Sicherheits- und Qualitätskriterien nicht. Firmen weigern sich, Produktionsanleitungen ihrer Verfahren vorzulegen. Sie verweigern eine wissenschaftliche Überprüfung. Nehmen Sie Mistel. Das ist eine pharmakologisch wirksame Substanz. Aber es gibt bis heute keine einzige valide Studie, wo die Wirksamkeit von Mistel am Tumor bewiesen wird. Eine erste europäische Studie prüft gerade Mistel beim Hautkrebs. Dabei kommt heraus: In bestimmten Situationen ist das Zeug hochgradig gefährlich. Das wurde vorher unter den Teppich gekehrt.

Was beanstanden Sie an der Gesetzesänderung?

Sie birgt die Gefahr, daß die Anerkennung zu Lasten der Wirksamkeit, der Sicherheit und der Qualität geht. Sie läßt therapeutische Willkür zu. Sie konterkariert das ernsthafte Bemühen von Ärzten und Patienten, eine gemeinsame Strategie zur Bewältigung von Krankheit zu finden. Sie basiert auf Glauben. Und sie belastet die Etats der Solidargemeinschaft. Interview: Annette Rogalla

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