Der Reaktorzwerg als giftiger Strahlenriese

■ Der Forschungsreaktor am HMI strahlt trotz geringer Leistung mehr als das umstrittene Atomkraftwerk Krümmel

Der atomare Forschungsreaktor des Hahn-Meitner-Instituts in Wannsee entläßt teilweise mehr radioaktive Strahlung in die Umwelt als das umstrittene Atomkraftwerk in Krümmel. Bei der Ableitung radioaktiver Edelgase und radioaktiven Tritiums in die Luft liegen die Werte des HMI weit über denen Krümmels. Das geht aus dem gerade veröffentlichten Bericht „Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung 1994“ des Bundesumweltministerium hervor. Während Grüne und Umweltschutzgruppen daraufhin die Abschaltung des Reaktors fordern, weisen HMI und Umweltverwaltung darauf hin, daß die Grenzwerte für die Strahlenbelastung am HMI weit unterschritten werden.

Der Reaktor BER II des HMI leitete 1994 insgesamt 220 Milliarden Becquerel Edelgase in die Luft, Krümmel kommt auf 160 Milliarden. Während Edelgase sich nicht im menschlichen Körper anlagern und daher ungefährlicher sind, ist beim Tritium die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung des menschlichen Gewebes höher. Der Bericht zeigt, daß der HMI- Reaktor 52 Milliarden Becquerel Tritium abgab, das Atomkraftwerk Krümmel dagegen 13 Milliarden Becquerel des radioaktiven Stoffes.

Der Forschungsreaktor, dessen Betriebsgenehmigung das Oberverwaltungsgericht erst vor zwei Wochen für rechtmäßig erklärt hatte, sei ein „Krümmel vor der Haustür“, reagierte das „Anti- Atom-Plenum“ auf die Berechnungen. Die höheren Werte seien vor allem bedenklich, weil Krümmel das Atomkraftwerk sei, „in dessen Umfeld die weltweit höchste Leukämierate um ein Atomkraftwerk gefunden wurde“. Ob für diese Häufung von Leukämiefällen besonders bei Kindern die Niedrigstrahlung aus dem AKW Krümmel verantwortlich ist, wird seit Jahren unter Strahlenexperten heiß diskutiert. Das „Anti-Atom- Plenum“ erklärte, da auch bei Einhaltung der Grenzwerte rund um AKW eine erhöhte Zahl von Leukämiefällen registriert werde, „ist auch im Umkreis des HMI eine Häufung von Leukämiefällen zu erwarten“. Eine solche Untersuchung am HMI hat es bisher nicht gegeben.

Die Zahlen seien nicht neu und leicht erklärbar, meinte dagegen Thomas Robertson, Sprecher des HMI. Zwar sei der BER-II-Reaktor mit seinen 10 Megawatt ein Zwerg bei Größe, Leistung und beim Einsatz von radioaktiven Stoffen. Doch dem Forschungsreaktor fehle der Druckbehälter von Leistungsreaktoren, und die Luft aus dem Reaktor werde nach außen abgeleitet. Entscheidend sei aber die Belastung der Umwelt. Und dabei unterschreite man den Grenzwert von zwei Millirem mit einem tatsächlichen Wert von 0,2 um das Zehnfache.

Auch Karl-Heinrich Steinmetz von der Umweltverwaltung, die als Genehmigungsbehörde auftritt, hat mit der Strahlenbelastung durch das HMI keine Probleme. „Wir betrachten die Diskussion um Krümmel interessiert, aber es gibt für eine Verbindung zu den Leukämiefällen keinen Beweis“, sagte Steinmetz. Andere Atomanlagen strahlten hundertmal soviel wie Krümmel ohne eine Häufung von Leukämie, anderswo träten Leukämiefälle geballt auf, ohne daß ein AKW in der Nähe sei. Die im Vergleich zu Krümmel höheren Werte am HMI beunruhigen den Strahlenexperten der Umweltverwaltung nicht: „Wenn wir ernsthafte Bedenken gehabt hätten, hätten wir den Reaktor gar nicht genehmigen dürfen.“ Bernhard Pötter