Zu Franjo-Rufen auf den Platz gekarrt

Vor den Präsidentschaftswahlen ist in Kroatien von Wahlkampfstimmung keine Spur. Die Bevölkerung hat sich mit dem Unvermeidlichen abgefunden: einem Präsidenten Tudjman auf Lebenszeit  ■ Aus Zagreb Erich Rathfelder

Schon Stunden vor der zentralen Kundgebung des amtierenden kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman haben sich Hunderte von Menschen an den Absperrungen postiert. Die Flüchtlinge aus Vukovar wollen sich die besten Plätze sichern. Verhärmte Gesichter sind darunter, Opfer des Krieges, die von der Parteiorganisation herangeschafft worden sind und jetzt hier ihre Pflicht tun. Mit fast religiöser Inbrunst warten sie auf ihn: „Franjo, Franjo!“

Die auf dem Podium versammelte Führungsmannschaft der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) klatscht im Rhythmus mit. Auch Verteidigungsminister Gojko Susak und Außenminister Mate Granic. Die Vorredner haben kaum eine Chance, sich verständlich zu machen, denn sie werden dauernd von den Franjo-Rufen unterbrochen. Mit süßsaurem, sorgenvollem Gesicht treten sie wieder ab. Ohne Tudjman sind sie nichts, das wissen sie. Die Anhänger wollen nur ihn und sonst niemand.

Dann kommt er. Energisch und mit fester Stimme tritt der 75jährige ans Pult. Und er redet über die Freiheit Kroatiens, über den Wohlstand, den der neue Staat für alle schaffen will. Die Franjo-Rufe werden leiser. Denn gerade die Ärmsten der Armen haben von diesem angeblichen Aufschwung noch nichts mitbekommen. Nach schon fünfzehn Minuten tritt er ab. Es ist neben dem Besuch in Vukovar am letzten Wochenende sein einziger Wahlkampfauftritt.

Zu denken geben muß den Hofschranzen Tudjmans auch, daß nicht einmal 5.000 Anhänger bei dieser zentralen Wahlkampfveranstaltung auf dem Jelacic-Platz zu mobilisieren waren. In den großen Städten des Landes verloren sich einige hundert Menschen bei den Wahlkundgebungen der Regierungspartei. Dabei wurden in vielen Betrieben Fähnchen ausgeteilt und die Menschen zum Kommen aufgefordert. Angesichts dieses Umstands schöpfen oppositionelle Intellektuelle wieder Hoffnung. Noch am Vortag waren sie höchst bedrückt. Da waren nämlich nur 2.000 Anhänger zur wichtigsten Veranstaltung des sozialliberalen Kandidaten Vlado Gotovac gekommen. Der Verleger Nenad Popović sah an diesem Abend sogar schon das Ende der kroatischen Opposition voraus. Vor wenigen Monaten noch hatte Gotovac an gleicher Stelle über 100.000 Anhänger mobilisieren können.

Die Regierungspartei hat spärlich plakatiert

Da die Fernsehkameras des staatlichen Fernsehens alle Mühe aufwenden müssen, die Menge bei Tudjmans Auftritt möglichst groß erscheinen zu lassen, macht das Schlagwort von der Wahlmüdigkeit die Runde. In der Tat ist von Begeisterung bei der Bevölkerung nichts zu spüren. Selbst die regierende Partei hat spärlich plakatiert, den Oppositionskandidaten fehlt das Geld für Werbung. „Fast wie gelähmt wirken die Leute“, sagt Mile, ein Zeitungsverkäufer. „Wir müssen uns wohl damit abfinden, einen Präsidenten auf Lebenszeit zu haben.“

Alle Voraussagen gehen von einem überwältigenden Wahlsieg Tudjmans aus. Gerade dies läßt manche stutzig werden. „Alle Welt wünscht Tudjman als Präsidenten“, sagt Stipe Mesic, letzter Präsident des ehemaligen Jugoslawiens. Der einstige Weggefährte Tudjmans sieht darin einen wichtigen Faktor für das Wahlgeschehen. Die wichtigsten Mächte Europas und die USA hielten die Wiederwahl des Präsidenten für wünschenswert, würden sie die Opposition unterstützen, sähe manches anders aus. „Außerdem hat Tudjman den gesamten Staatsapparat hinter sich.“

Über diesen Hinweis streiten sich einige Bekannte. „Ich frage alle meine Freunde und meine Nachbarn, niemand will Tudjman wählen“, sagt einer. Und eine Studentin will an der Universität eine ähnliche Erfahrung gemacht haben. In den am dichtestem besiedelten Gebieten Kroatiens und in den großen Städten wie Zagreb, Rijeka und Split seien eigentlich Mehrheiten für Tudjman nicht vorstellbar. „Vielleicht meint Mesic damit, daß die Wahlen wie die Kommunalwahlen gefälscht werden“, sagt ein junger Mann. Er hat im April letzten Jahres beobachtet, wie die Honoratioren der Regierungspartei schon vor Schließung der Wahllokale auf ihren Sieg anstießen.

Von solchen Spekulationen will ein Taxifahrer nichts wissen. Er, ein Gotovac-Anhänger, hält die Kampagne der Opposition für zu schwach. Außerdem hätte Gotovac aus dem Anschlag kein Kapital schlagen können. Statt eines Mitleidaffekts sei ihm der Anschlag als Schwäche ausgelegt worden. Nicht einmal diese Diskussionen lösen Leidenschaften aus. Niemand fiebert dem Wahlgang entgegen. Die Kroaten haben sich mit dem Unvermeidlichen abgefunden. Viele warten darauf, daß es einmal eine Ära nach Tudjman gibt. „Dann sollten junge Leute hervortreten. Auch die Oppositionspolitiker sind schon verbraucht“, sagt die Studentin.