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Sozialcharta auf Eis

■ Labour will EU-Bestimmung frühestens in zwei Jahren ratifizieren

Dublin (taz) – Die britische Labour-Regierung hat sechs Wochen nach ihrem Amtsantritt den ersten Rückzieher gemacht: Die Ratifizierung der EU-Sozialcharta wird für mindestens zwei Jahre auf Eis gelegt. Von einer Verzögerungstaktik könne jedoch keine Rede sein, versicherte ein Berater von Premierminister Tony Blair: Auf dem EU-Gipfel in Amsterdam werde Blair nächste Woche den Ausstiegsbeschluß seines Vorgängers John Major formal aufheben.

Der Verband der britischen Industrie hatte auf die Verschiebung gedrängt, damit seine Mitglieder sich in aller Ruhe auf Mitbestimmung und Erziehungsurlaub vorbereiten können. Schließlich hätten auch die anderen Länder eine zweijährige Übergangsphase eingeräumt bekommen, nachdem sie die Maastrichter Verträge samt Sozialcharta ratifiziert hatten, so hieß es.

Die britischen Minister sollen aber ab sofort an den Sitzungen zur Sozialcharta teilnehmen. Stimmrecht dürfen sie in diesem „Zwielicht-Zeitraum“ jedoch nicht haben, hieß es in Brüssel. Die EU- Kommissare sind über die britische Wende enttäuscht, nachdem Blair im Wahlkampf mit dem Versprechen angetreten war, der Sozialcharta umgehend beizutreten. Damals hatte er allerdings schon angekündigt, daß er sich widersetzen werde, falls der „Industrie weitere Bürden auferlegt werden“ sollten.

Die britischen Gewerkschaften haben auf Blairs Rückzieher ebenfalls verärgert reagiert. Sie werden in den nächsten Tagen über ihr weiteres Vorgehen beraten. Um es sich nicht ganz mit ihnen zu verderben, gab die Regierung vorgestern bekannt, daß Blair die Arbeitszeitdirektive, die Teil der Sozialcharta ist, schon in Amsterdam unterschreiben will. Sie räumt Arbeitnehmern das Recht auf eine 48-Stunden-Woche und auf drei Wochen Jahresurlaub ein. Expremier Major hatte voriges Jahr gegen die Direktive geklagt, weil sie als „Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahme getarnt“ gewesen sei. Ralf Sotscheck

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