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Zum Tod von Katrin Reemtsma

■ Die Tragödie: Ein persönlicher Nachruf von Rajko Djuric

Katrin Reemtsma lernte ich in Göttingen im Mai 1981 kennen, damals war sie gerade 22 Jahre alt. Von diesem Zeitpunkt an bis zu ihrem tragischen Tod begegneten wir uns sehr oft, dienstlich und freundschaftlich. 1994 wurde sie aktive Mitarbeiterin der Internationalen Romani Union. Sie arbeitete an Projekten, die sich mit den Problemen der Roma, mit den Kriegsflüchtlingen aus Bosnien beschäftigten. Am 13. Juni 1997 wollten wir uns mit dem Vertreter der US-Botschaft in Berlin treffen. Noch viele Termine standen vor ihr, noch viele Projekte warteten, an denen sie bis spät in die Nacht hinein bis zur Stunde ihres Todes arbeitete. Gerade planten wir gemeinsam die „Europäische Konferenz der bosnischen Roma“, zu der sich die in ganz Europa verstreuten Kriegsflüchtigen und heimatlosen Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien treffen wollten.

Katrin Reemtsma, die kurz zuvor von einer Reise durch Bosnien zurückgekehrt war, war noch am Tage vor ihrem Tod auf einer Tagung der Evangelischen Akademie zum Thema Rückkehr.

Sie kämpfte mit ihrem Herzen und mit ihrem Verstand für die Rechte der Sinti und Roma in Deutschland und in Europa. Nicht als ihr „Vormund“, sondern als selbstbewußte, humane und der Wahrheit verpflichtete Wissenschaftlerin. Ihre vielen Artikel in Zeitungen und Zeitschriften zeugen von ihrer Integrität.

Ihr Buch „Sinti und Roma“ (Beck, München 1996) zeigt, mit welchem Scharfsinn sie die permanente Mißachtung der Menschen-, Bürger- und Nationalrechte der Roma und Sinti in Deutschland aufdeckte. In ihrer Forschungsstudie „Zigeuner – in der ethnographischen Literatur“ (Fritz Bauer Institut, Frankfurt/Main 1996) decouvriert sie die Lügen deutscher Ethnologen über Roma und Sinti.

Einzelne Ethnologen haben zu Zeiten des Nationalsozialismus die Vernichtung dieses Volkes nicht nur vorbereitet, sondern sogar aktiv an diesem, historisch kaum erforschten, Verbrechen teilgenommen. Sie veröffentlichte erstmals Belege über die Rolle, die der anerkannte Ethnologe Martin Block (1891–1972) darin spielte, der, wie sie außerdem zeigt, aktives Mitglied der Wehrmacht war. Ich schreibe diesen Artikel, weil ich meine große Dankbarkeit gegenüber dieser aufrichtigen, tapferen und selbstbewußten Frau zum Ausdruck bringen möchte. Meine Dankbarkeit und die Dankbarkeit der Roma und Sinti, die aller ungerecht Verfolgten. Wir sind ihr dankbar dafür, daß sie für die Menschenrechte kämpfte, daß sie sich persönlich gegen Lügen und Vorurteile einsetzte und für ihre Liebe zur Wahrheit.

Die Wahrheit fordert auch von mir zu diesem traurigen Anlaß folgendes zu sagen: Der Tragödie der Katrin Reemtsma ging ein langjähriges Drama voran. In diesem Drama kreuzten sich persönliche, familiäre, psychosoziale, historische und politische Wege und Momente. Ihr Kampf und ihr Tod könnten Motiv für einen politisch- soziologischen Roman sein.

Aus Achtung und Ehrfurcht ihr gegenüber, aus mitfühlender Rücksichtnahme auf ihre Eltern und besonders aus sorgsamer Aufmerksamkeit für ihre Kinder, denen sie unermeßliche Liebe schenkte, möchte ich darauf aufmerksam machen, daß man über diese Tragödie erst verantwortungsbewußt schreiben kann und darf, wenn alle Tatsachen, die zu diesem tragischen Geschehen gehören, erforscht sind.

Der Mord geschah in Berlin. Die Ursachen liegen aber nicht nur hier und auch nicht nur in den Tagen und in den Nächten, die der Tragödie kurz vorangingen. Erst derjenige, der eines Tages eine gründliche Analyse ohne oberflächliche Vorurteile erstellen wird, wird der Öffentlichkeit mitteilen können, warum das Leben von Katrin Reemtsma ein so tragisches Ende nahm.

Ich möchte noch folgendes hinzufügen: Katrin Reemtsma hat entdeckt, wie schwer und tragisch die Wahrheit über die Roma und Sinti ist, und sie hat verstanden, wie schwer und tragisch diese Wahrheit für die Roma und Sinti ist. Die Feinde dieser Tatsachen wurden so zu ihren Feinden. Sie gab nie auf, sondern kämpfte bis zur letzten Stunde ihres Todes. Sie kämpfte, da sie die „Werte“ der „in Geld Schwimmenden“ und das Leid „der in Blut Ertrinkenden“ erkannte. Katrin Reemtsma, nur tiefe Achtung, Ehre und Bewunderung sind ihrem Leben und ihrem Werk würdig!

Rajko Djuric ist Vorsitzender der Internationalen Romani Union

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