: Mehr Futter für gute Schüler
■ Mit mehr fachspezifischem Unterricht soll die 6jährige Grundschule attraktiver werden. Schulsenatorin Stahmer hält derzeitiges Leistungsniveau für unbefriedigend
In der Neuköllner Karlsgarten- Grundschule meldeten Eltern ihre Kinder einen Monat nach Schulbeginn wieder ab, als klar wurde, daß in der Klasse vorwiegend nichtdeutsche Kinder saßen. Angebote wie Schnelläuferklassen (Expreßabitur) und grundständige Gymnasien, die ein Verlassen der Grundschule nach dem vierten Schuljahr möglich machen, werden dagegen mit Anmeldungen überschüttet. Doch nur neun der 118 Gymnasien bieten Unterricht ab der fünften Klasse an. Das Los entscheidet, wer überwechseln darf.
Das Berliner Schulsystem mit seinem Kern, der sechsjährigen Grundschule, ist unter Druck geraten. Zwanzig Leiter von Gymnasien haben jetzt bei der Senatsschulverwaltung die Einrichtung von weiteren 5. Klassen beantragt. Doch dabei stießen sie auf Granit: „Die Eltern beklagen sich, daß ihre Kinder sich in der Schule langweilen. Sie bekämen nicht genug Futter“, sagt Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD). Sie räumt ausdrücklich ein, daß das Leistungsniveau der Schüler in der 5. und 6. Klasse derzeit unbefriedigend ist. Den Klagen der Eltern will die Senatorin aber nicht nachgeben, indem sie noch mehr grundständige Gymnasien ab Klasse vier oder mehr Schnelläuferklassen einrichtet, sondern durch eine breitangelegte Reform der Grundschule. „Die sechsjährige Grundschule hat sich bewährt. Wir müssen nur das Leistungsniveau erhöhen, früher mit dem Fachunterricht und einer Fremdsprache beginnen, mehr Freiraum für Projektunterricht schaffen.“
Angedacht ist eine „verläßliche Halbtagsschule“ – verläßlich insofern, daß die Eltern sich auf eine feste Betreuungszeit von acht Uhr morgens bis 12 Uhr mittags verlassen können. Zwar liebäugelt Ingrid Stahmer eigentlich mit einer Ganztagsschule, die mit zahlreichen freiwilligen Freizeit- und Lernangeboten auch viele soziale Probleme besser aufarbeiten könnte, aber das hat sie sich angesichts der Finanzmisere aus dem Kopf schlagen müssen. „Wir streben eine fächerübergreifende, soziale und fachliche Erziehung zusammenfassende integrative Schule an“, so Ingrid Stahmer.
Damit kann sich auch der Koalitionspartner CDU weitgehend anfreunden. Doch in Stahmers wohlklingendem Satz liegen schon die eigentlichen Knackpunkte der angestrebten Reform verborgen. Einerseits soll das soziale, integrative Lernen im Klassenverband erhalten bleiben, auf jeden Fall in den Fächern Mathe, Deutsch und einer Fremdsprache bis zur sechsten Klasse. Andererseits wird es differenzierte Angebote für unterschiedlich begabte SchülerInnen geben, um der Langeweile zu entkommen und das fachliche Niveau zu heben. Während der schulpolitische Sprecher der SPD, Peter Schuster, von „Neigungsdifferenzierung“ innerhalb des fächerübergreifenden Unterrichts und unbenoteten Förderstunden für besonders begabte und besonders schwache Schüler spricht, fordert seine Kollegin vom Koalitionspartner CDU, Marion Kittelmann, eine klare „Leistungsdifferenzierung“ in getrennten Förderkursen, ähnlich, wie es in den Gesamtschulen praktiziert wird. „Es gibt eben Schüler, die besser lernen, weil sie zu Hause gute Lernmöglichkeiten haben, während andere von ihren Eltern vernachlässigt werden. Über die können Sie nicht einfach hinwegunterrichten.“ Im Einerlei des bestehenden Grundschulunterrichts würden die für die weiterführenden Schulen erforderlichen Grundkenntnisse wie Lesen, Schreiben, Rechnen nicht mehr ausreichend erworben. „Es gibt 5. und 6. Klassen, in denen Diktate erst dann geschrieben werden, wenn sie den Schülern vorher 100prozentig bekannt sind. So bekommen gute Schüler nie ihre Chance.“
Prinzipiell hat sich die CDU – „wir denken eben pragmatisch statt ideologisch“ – mit der 6jährigen Grundschule ausgesöhnt. Allerdings sähen die Christdemokraten gern in jedem Bezirk ein grundständiges Gymnasium mit den Anfangssprachen Englisch und Französisch (die vorhandenen grundständigen Gymnasien sind eher humanistisch ausgerichtet).
Senatorin Ingrid Stahmer kann „dieser ideologischen Debatte“ nichts abgewinnen: „Wenn es um äußere oder innere Differenzierung geht, werden die Blicke immer ganz flammend.“ Auf jeden Fall dürfe nicht in Qualitätsniveaus wie an den Gesamtschulen unterschieden werden. Stahmer behilft sich mit dem Beispiel Japan. Dort – so hat eine internationale Studie soeben nachgewiesen – werden bssere Ergebnisse als in Deutschland erzielt, ohne daß es spezielle Förderkurse gibt. „Wir müssen deshalb nicht ständig die Unterrichtsstrukturen verändern, sondern den Unterricht selbst. Und weniger Betonung auf Fachwissen und Wiederholungslernen legen, dafür mehr auf Problemlösungsstrategien. Das ist ein didaktisches Problem.“ Auf jeden Fall müsse die stabile Lerngruppe in der Grundschule erhalten bleiben. Daneben sollten die Lehrpläne und Rahmenrichtlinien flexibler gemacht werden, damit „die Schulen auch das tun können, was sie tun wollen, und sich ein eigenes Profil erarbeiten. Das praktizieren wir schon im Modellprojekt Schulen in erweiterter Verantwortung.“ Letztendlich will Stahmer die vielen unterschiedlichen Reformansätze unterstützen, die es schon in den Grundschulen gebe. Schon 1998 könnte dann eine allgemeine Reform flächendeckend verankert werden. Angesichts des allseits beklagten Reformstaus in der Pädagogik fehlt da manchen allerdings der rechte Glaube: „Nicht die Reform ist das Problem, sondern der Beamtenapparat, der sie durchsetzen soll“, sagt Sybille Volkholz, schulpolitische Sprecherin der Grünen. Thomas Loy
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