: EU hat noch Geld unter der Matratze
Die Finanzminister fahnden nach Geldquellen im EU-Haushalt. Sprudeln könnten die Töpfe für Landwirtschaft und Stahl. Die Transeuropäischen Netze werden wiederbelebt ■ Aus Amsterdam Alois Berger
Es ist erstaunlich, wo die Europäische Union überall noch ein paar Milliarden gebunkert hat. Beim EU-Gipfel in Amsterdam fielen den 15 Finanzministern der EU gestern immer neue Geldtöpfe ein, die sie für europäische Beschäftigungsprogramme anzapfen könnten. Nur der deutsche Finanzminister Theo Waigel zögerte zunächst noch, weil er lieber sparen möchte und ihm die ganze Richtung nicht paßt. Doch Lionel Jospin hat sich im Wahlkampf festgelegt und hat verzweifelt um ein sichtbares Zeichen gerungen, daß die beschlossene Währungsunion nicht nur Sparmaßnahmen erzwingt, sondern die EU sich aktiv um neue Arbeitsplätze bemüht. Nur kosten darf es nichts, da ist Waigel hart.
Die EU-Finanzminister wollen deshalb Geldreserven im EU- Haushalt umschichten, die nicht aufgebraucht wurden. Davon gibt es offensichtlich einige. Bei der Europäischen Investitionsbank EIB, deren Eigentümer die Mitgliedsländer sind, haben sich in den vergangenen Jahren 25 Milliarden Mark an Gewinnen aufgestaut, von denen nur knapp die Hälfte für die geplante Kapitalaufstockung gebraucht wird.
Auch bei der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) sind durch Rücklagen „erhebliche Beträge“ aufgelaufen, wie der österreichische Bundeskanzler Viktor Klima frohlockte. Der EGKS-Vertrag läuft im Jahr 2002 ohnehin aus, das Geld werde bis dahin sicher nicht mehr aufgebraucht.
Selbst innerhalb des jährlichen EU-Haushaltes bleiben regelmäßig einige Milliarden übrig. Das Europäische Parlament hat schon mehrmals versucht, etwa die Überschüsse aus der Agrarpolitik für die Schaffung von Arbeitsplätzen zu nutzen. Die Überschüsse entstehen dadurch, daß die Regierungen für die Bauern lieber zuviel als zuwenig Geld bereitstellen. Eine echte Chance aber hat vermutlich nur die Ausweitung der EIB-Darlehen, die für nationale Beschäftigungsprogramme zinsgünstig zur Verfügung gestellt werden sollen. Denn sowohl die Agrarüberschüsse als auch die EGKS-Rückstellungen fließen, wenn sie nicht genutzt werden, in die nationalen Haushalte zurück. Darauf möchte Waigel nicht verzichten.
Umstritten ist auch, welche Beschäftigungsprogramme finanziert werden sollen. Bonn möchte der EU allenfalls kleine Pilotprojekte zugestehen, mit denen ansonsten national geführte Beschäftigungsprojekte koordiniert werden. Doch andere Länder drängen auf echte EU-Programme. „Sie werden's nicht glauben“, erzählte der österreichische Kanzler Klima, „auch die Transeuropäischen Netze sind wieder im Gespräch.“ Die sogenannten TENs wurden 1994 in Essen von allen EU-Regierungschefs als beschäftigungsschaffende Infrastrukturprojekte beschlossen, seither aber nicht weiterverfolgt. Die Regierungen, allen voran Bonn, wollten für die geplanten Verkehrsprojekte, vor allem Hochgeschwindigkeitsbahnen, kein Geld lockermachen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen