piwik no script img

■ StandbildVöllig losgelöst

„Hallo Deutschland“, werktags 17.15 Uhr, ZDF

Nachmittags, zwanzig vor sechs in Deutschland: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erklärt Ecstasy für unbedenklich, auf Mallorca sticht der Ballermann-Wirt ein neues Faß an, und im ZDF steigt ein Heißluftballon in die Höhe. An Bord ein junger Moderator mit integrierter Mundwinkelverlängerung, der soeben seine erste Sendung abmoderiert hat und von dem man sich wünscht, daß ihn der Ballon irgendwohin weht, in ein Land, in dem sich niemand für Einschaltquoten interessiert – in dem es vielleicht nicht einmal Fernsehen gibt.

Dabei kann der nette Steffen Seibert gar nichts dafür, außer daß er zur Premiere eine blaßgrüne Krawatte trug und damit die einzige Chance, etwas Farbe in das neue Vorabendmagazin zu bringen, leichtfertig vergab. Denn schwerelos wie der Fesselballon kommt auch die Themenmischung daher – ganz so, als würden nicht nur in Berlin-Brandenburg, sondern auch beim ZDF die Ferien eingeläutet: Da bittet eine Bauersfrau, die sich wegen behördlicher Hartherzigkeit mit dem Verkauf von Eiern durchschlagen muß, in ihre Wohnküche, da wird noch einmal das Hohelied auf das Berliner Tempodrom angestimmt, und irgendwo im Thüringischen streitet eine Handvoll Bürgermeister um die zweifelhafte Ehre, der geographische Mittelpunkt der Republik zu sein. Wenn das Deutschland ist, fragt man sich unwillkürlich, aus welchem Land berichtet dann die „Tagesschau“ oder auch „Brisant“?

Nicht nur inhaltlich, auch stilistisch macht der unbedingte Wille zum Unbeschwerten aus der Sendung nicht gerade einen Freizeitspaß. Mal werden die Beiträge einfach schneller abgespielt und mit enervierenden Slapstick-Melodien unterlegt, mal läuft eine Reporterin im zerknitterten Schlafanzug über die ICE-Teststrecke in Mönchengladbach und gratuliert den zu Recht eingeschüchterten Starkstromelektrikern zum neuen Job.

Nachmittags, zwanzig vor sechs in Deutschland, war der letzte Zweifel ausgeräumt. Bei „Hallo Deutschland“ handelt es sich gar nicht um eine nationale Identität stiftende Zuschaueransprache, sondern schlichtweg um den letzten Hilferuf der ZDF- Programmplanung. Also, Deutschland: Ideen für neue Vorabendprogramme bitte direkt an den Intendanten. Oliver Gehrs

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen