Keine Liebe ohne Leiche

■ Ein melancholisches Wiedersehen mit Buttgereits Nekromantik

Das Ende einer Ehe. Blut und Schrott. Wie wenig von einem Menschen übrigbleibt nach einem tödlichen Autounfall, staunt man mit der Kamera, bis „Joes Säuberungsaktionstrupp vorbeikommt und die Reste eintütet.

Einer der Leicheneinsammler ist Rob. An einem herausgerutschten Augapfel findet er besonderen Gefallen und weist ihm einen Ehrenplatz in seiner Reliquiensammlung zu. Doch die größte Wonne bereitet Rob und seiner Freundin Betty ein grünverschleimter Knochenmann, der mit seinem herausbaumelnden Auge zunächst noch etwas sparsam schaut.

Der unschuldige Kadaver wird zum Lustobjekt, den man nach seinen Liebesdiensten wie einen Hut an den Haken hängt. Dort kann er noch ein bißchen ausbluten, und das sieht manchmal so aus, als weine er vor Glück über seine posthume Attraktivität. Doch Rob verliert den Job. Betty verschwindet mit dem grünen Freund. Zurück bleibt ein feuchter Fleck auf der Wand und ein amoklaufender Rob, der einsam und traurig, durch grobmotorische Harakiri-Techniken stimuliert, im letzten sensationellen Orgasmus verscheidet. Doch wenn ein Pumps sich in den frischen Grabhügel bohrt, läßt uns die melancholische Liebesgeschichte wissen: Die Liebe geht weiter. Schließlich hat Eros immer schon den Tod gebracht. Und die wahre Perversion, auch daran läßt Nekromantik keinen Zweifel, versteckt sich irgendwo im Schrebergarten, stampft zu Marschmusik und schunkelt im Mutantenstadl.

Abgehackte Köpfe, herausgepulte Augen, gescheitelte Gehirne oder großräumigere Liebesbekundungen mit der Kettensäge. Was einst aus dem Ghetto des Splatterfilms in radikalster Metaphorik farbenfroh gedieh, längst zum koketten Versatzstück des Mainstream-Kinos geworden ist, wird bei Buttgereit zum Instrumentarium Einsamer, die zwischen schrecklichen Kontrollzwängen und ungebremster Enthemmung hin und her schlittern.

Seine Monster sind melancholisch und komplex. Und geraten sie außer sich, hindert kein bißchen domestizierendes Bewußtsein sie mehr am lustvollen Schlachten, werfen sie uns mit jedem Blutrausch einen völlig fehlgeleiteten gesamtgesellschaftlichen Triebstau vor die weit aufgerissenen Augen.

Und Nekromantik, das abendfüllende Debüt, das der damals 24jährige Berliner zusammen mit dem Co-Autor Franz Rodenkirchen drehte, plaziert sich eindrucksvoll in der Grauzone zwischen den Genres Splatter, Horror und tragischer Liebesgeschichte und hat wegen seiner pikanten Themenwahl gute Chancen, nicht in den Fleischwolf der filmischen Verwertungsindustrie zu geraten.

Auch die drei Wochen, in denen eine Berliner Richterin 1992 Nekromantik 2, wiederum ein melancholischer Film über die Liebe einer jungen Frau zu einem toten Mann, auf den Index setzte, Buttgereit die Negative gut versteckt hielt und sich nicht mehr ganz sicher war, ob er nun in Deutschland oder dem Iran lebte, haben dem Godard unter den Splatterfilmern nichts anhaben können.

Im Gegenteil, mit Schramm legte er zwei Jahre später seine stilsicherste und eigensinnigste Produktion vor. Ruhig, bedächtig und mit kalten, präzisen Bildern, die trotz ihrer kühlen Oberfläche immer auch zärtlich sind, entfaltet Buttgereit seine häßlich tapezierten Seelenlandschaften eines traurigen Massenmörders, der die Frage der Zeugen Jehovas an seiner Tür: „Haben Sie schon einmal über Gott nachgedacht?“nur mit einem Doppelmord beantworten kann.

Birgit Glombitza

Fama