■ Filmstarts à la carte: Von Voyeuren und Indianern
Mit der Moral der Briten steht es auch nicht mehr zum Besten. Mußte ich doch neulich voller Entsetzen vernehmen, daß die Leibgarde der Queen derart mit halluznogenen Drogen vollgedröhnt gewesen sei, daß die Herren sich kaum auf den Pferden halten konnten. Vor 40 Jahren hingegen war die Welt auf der Insel noch in Ordnung. Da hielt man selbst in einem so dubiosen Berufsstand wie dem des Filmkritikers noch große Stücke auf Anstand und Sitte.
Einhellig verdammt wurde deshalb auch ein Schauerstück wie Michael Powells „Peeping Tom“ (1960): Ein Psychopath filmt die Angst seiner Opger, während er sie mit dem Stilett im Kamerastativ ermordet! Und dann weigert sich der Regisseur auch noch, ein moralisches Urteil zu fällen und erweckt gar Verständnis für den Täter. Einfach unglaublich. Immer wieder gern zitiert wird jener Kritiker, der glaubte, daß, selbst wenn man den Film im Gully hinwegspüle, der Gestank zurückbleibe.
Auf Michael Powells Karriere wirkte sich „Peeping Tom“ nicht unbedingt günstig aus; Hauptdarsteller Karlheinz Böhm gelang mit einem gewagten Sprung vom Kaiser-Franz-Joseph-Dauerabonnenten zum Frauenmörder immerhin einer der radikalsten Imagewechsel in der Geschichte des Kinos – so radikal, daß in der Folge niemand mehr den Mimen engagieren mochte. Erst bei seiner Wiederaufführung Ende der siebziger Jahre erfuhr der Film späte Anerkennung als intelligente Reflexion über das Kino der Angst.
Wenn das Publikum in den subjetktiven Einstellungen die Sicht des Mörders übernimmt und sich selbst als „Peeping Tom“ erfährt, legt der Film die Mechanismen seines Genres offen.
in den Tilsiter Lichtspielen
Zwar werden die Abenteuer des Apachenhäuptlings Winnetou und seines weißen Blutsbruders Old Shatterhand vom Zeughaus als „Kinder-Kino“ getarnt, doch sollte man sich nicht täuschen lassen: Tatsächlich handelt es sich bei diesem subversiven Meisterwerk deutschen Filmschaffens natürlich um einen Beitrag zur Filmreihe „100 Jahre Schwulenbewegung“.
Es ist durchaus an der Zeit, an dieser Stelle einmal die Vorzüge des deutschen Westerns zu preisen, der Anfang der sechziger Jahre zu einem Zeitpunkt auf den Weltmarkt drängte, als in Hollywood aufgrund des faktischen Zusammenbruchs des Studiosystems die Genreproduktion beinahe zum Erliegen kam.
Statt auf psychologische Motivation der Figuren (wie in den A- Pictures der Amerikaner üblich) setzten die Karl May-Western auf die ungebrochene Darstellung von Mythen und Ritualen, verbanden auf vergnügliche Weise Action mit Humor. Harald Reinl, Regisseur der „Winnetou-Trilogie“, war, wenn schon kein großer Künstler, so doch ein außerordentlich versierter Handwerker, und auch die Besetzung der Hauptrollen erwies sich als Glücksgriff.
Lex Barker brachte in seiner selbstgefälligen Art die besserwisserische Seite von Old Shatterhands Charakter gut zur Geltung, und Pierre Brice überzeugte als Winnetou derart, daß der arme Mann bis in alle Ewigkeit dazu verdonnert wurde, bei diversen Karl May-Festspielen als edler roter Krieger durch die schleswig-holstein'sche Prärie zu galoppieren.
Ein Programm nicht nur für Kinder.
Lars Penning
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