: Aus dem Sumpf der Defensive herauskommen
■ betr.: „Heraus aus dem nationalen Politikbiotop“ (Linke Antworten auf Globalisierung), taz vom 13. 6. 97
Irgendwas stimmt da nicht: Entweder Ihr Titelredakteur irrt, Joschka leidet neben permanenter Selbstüberschätzung nun auch noch an milieuimmanenter Fehleinschätzung seines politischen Standorts, oder der Protokollant und ich waren auf der falschen Veranstaltung.
Was, bitte, bitte, war an seinen Statements „links“?
Oder hat doch Karl Pawek neulich in konkret recht, als er vorschlug, das Wort „links“ durch „sozialistisch“ zu ersetzen. Das würde, igittigitt, der wirtschaftsliberale kleinbürgerliche Oppositionelle bestimmt nicht wollen. Und mensch könnte sich eine falschetikettierte Veranstaltung samt taz- Nachlese sparen. Bernd Malle, Frankfurt/Main
[...] Ein Leckerbissen für kritische taz-LeserInnen! [...]
Eine Linke auf dem Weg, sich selbst zu finden. So oder so ähnlich ließe sich der Unterton der Euro-, Globalisierungs-, Steuerpolitik- und Sozialstaatsdebatte, den die VertreterInnen, der sich selbst als „links“ definierenden Gruppen in letzter Zeit angelegt haben, zusammenfassen. So schwammig und unausgereift die Konzepte von Beck, Bourdieu und Fischer zur Intervention in die neoliberale Staats- und Globalisierungsdiskussion sind, so notwendig und richtig ist ihr Ansatz, endlich aus der Defensivhaltung bezüglich der Debatte um den Euro herauszukommen. Es reicht eben in diesen Jahren und Jahrzehnten tatsächlich nicht aus, sich in einer Verweigerungshaltung zu brüsten. Ich will eine Perspektive: nicht nur für mich selbst, nicht nur für ein (noch) fiktives „Haus Europa“, nicht nur für die am Status quo krepierende Gesellschaft – nein: ich möchte eine linke, ernsthafte politische Alternative für das neue Jahrtausend. Eine Alternative zu Sozialabbau und Deregulierung, zu Bildungskürzungen und Umverteilung von den Schwachen zu den Reichen, eine Alternative, für die es sich zu kämpfen lohnt. [...] Wenn die Linke sich nicht dem dummschwätzenden O-Ton der neoliberalen Altherrengarde der politischen Landschaft einfach ergeben möchte, dann muß sie endlich handeln! Und offensichtlich bietet die Globalisierungsdebatte hierzu eine Chance.
[...] Das Ziel, ein demokratisches Europa aufzubauen, das nicht nur die Portemonnaies von Bundesbankchefs und Großanlegern an den Börsen füllt, wird nicht erreicht, indem in Großbritannien, Frankreich und 1998 vielleicht auch endlich in Deutschland links der Mitte stehende Regierungen antreten, um die Konzepte ihrer konservativen Vorgänger zu reformieren, wenn nicht gar zu übernehmen. Einzig und allein entscheidend ist das Bewußtsein der politischen Linken, etwas verändern zu wollen. Mit dem Sieg der PS in Frankreich und (New) Labour in Großbritannien hat die Linke in Europa eine Option auf einen Kurswechsel – für sich selbst und für die Menschen! Doch was bringt ein Wahlsieg 1998 in Deutschland, wenn die SPD die gleiche politische Richtung einschlägt, in die die Kohl-Regierung den Karren seit über 14 Jahren in den Dreck zieht – nur halt mit der einen oder anderen Konzession mehr an den Sozialstaat, der dann eben ein bißchen sozialer abgebaut wird. Die Debatte ist nicht nach Wahlsiegen zu führen, sondern nach politischen Alternativen. [...]
Da wird auf der einen Seite die Entlassung von Theo Waigel im Bundestag beantragt, gleichzeitig trifft sich der SPD-Wirtschaftsguru Helmut Schmidt mit Mr. Goldfinger höchst persönlich, um mit ihm über die Perspektive einer Großen Koalition zu spekulieren. Statt endlich für ein ökologisch-soziales Reformprojekt makropolitisch zu kämpfen, werden Zielgruppenheger Arbeit und Umwelt bei der Frage „Garzweiler“ in NRW permanent gegeneinander ausgespielt. Die SPD-Vertreter, die auf der einen Seite mehr Demokratie in Europa fordern, privatisieren vollkommen konzeptlos und allerorts (Clement), bekämpfen systematisch Koalitionspartner und politische Gesamtperspektive (Matthiesen) und riskieren die Alternative erst recht, wenn sie auf allerunterstem Stammtischniveau AusländerInnen degradieren und den Umgang mit ihnen in Deutschland als „zu freundlich“ empfinden (Voscherau). Das ist die linke Realität in Deutschland – festgemacht an der einstigen sozialdemokratischen Kraft in diesem Lande.
Kurz gesagt: Wer sich in der Detailverliebtheit einerseits, im Opportunismus an Neoliberalismus andererseits und letztens in illusorischem Stillschweigen und Blockade andererseits begibt, der baut keine Perspektive auf. [...] Die Debatte um eine Aufhebung der nationalen Grenzen im Sinne von Internationalismus zu führen und mit dieser einen Kontrast zur kapitalistischen Standortdebatte zu setzen, ist ein Ansatz, aus dem Sumpf der Defensive herauszukommen. [...] Christian Dohmen, Bezirksschü-
lerInnenvertretung Köln
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