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Jazz als Zirkusattraktion

■ In der Glocke feierte der Jazztrompeter Maynard Ferguson seinen 70. Geburtstag und ließ sich die Schau nicht stehlen

Wolkenkratzer-Eskapaden nannte Joachim E. Berendt, was Maynard Ferguson mit seiner Trompete anstellt: Er bläst in schwindelnden Höhen und immer spektakulär. Aber, so nochmal Berendt, „er spielt nicht nur laut-schreierisch, sondern trifft auch dort oben jede Note genau und phrasiert musikalisch einwandfrei.“Das „nur“ist in diesem Zitat wichtig, denn auf den ersten Blick schien die Show von Ferguson und seiner „Big Bop Nouveau Band“am Donnerstag eher nach Las Vegas als in eine Konzerthalle wie die Glocke zu passen. Die sehr jungen und durchweg weißen Musiker der Band führte Ferguson vor wie in einem Zirkus. Jeder zeigte seine schönsten Tricks auf dem Instrument, und der Chef war offensichtlich stolz über jedes gelungene Kunststückchen. Dabei beherrschte Ferguson mit grandiosen Bewegungen die Bühne, lächelte unentwegt und bestätigte jedes Klischee über das alles andere als subtile amerikanische Showbusiness.

Aber man mußte der Band zugestehen, daß sie dabei atemberaubend wild swingte. Ferguson ist älter als drei von seinen Mitspielern zusammengenommen, aber er läßt sich den Schneid nicht von diesen sehr ehrgeizig spielenden Ton-Akrobaten abkaufen. Und wenn auch viele alte Gassenhauer wie etwa „Caravan“von Duke Elligton im Repertoire waren, so spielte die Band sie doch in so modernen und raffinierten Arrangements, daß Ferguson mit seinem Sound durchaus noch auf der Höhe der Zeit ist.

„Big Bop Nouveau Band“ist ein passender Name für diesen extrem gut eingstimmten Klangkörper. Die meisten gespielten Stücke waren zwar „crowdpleaser“wie Joe Zawinuls „Birdland“oder ein Medley aus „Hey Jude“, Herbie Hancocks „Watermelon Man“und „When the Saints ...“. Aber direkt nach der Pause bewies Ferguson mit einer Suite, daß er sich als Komponist und Bandleader auch an Ungewohntes herantraute. Eine Mischung aus klassischer indischer Musik und modernem Bebop stellte er hier vor. Er selber spielte dabei das Sopransaxophon, verkniff sich diesmal alle angeberischen Virtuositäten und leitete die Band so ernsthaft und inspirierend durch dieses originelle und sehr farbenfroh arrangierte Stück, daß man ihm danach gerne sein leicht gockelhafte Stolzieren nachsah.

Als Vorwärmer spielten bei beiden Sets der Saxophonveteran Herb Geller und Horst Jankowski ein paar Stücke. Jawohl, der Pianist Jankowski, der gerade von der Easy-listening-Szene wiederentdeckt wird, der immer noch mit ewig schiefem Schlips am Flügel sitzt und hier angenehm zurückhaltend und erstaunlich jazzig spielte. Auch bei der langen Zugabe, einer Jam Session über „A Night in Tunesia“, trieb Ferguson Jankowski am Klavier zu immer neuen Soli. Bei diesem letzten Stück zeigte Ferguson die Brillianz seiner Band: Auf kurze Handzeichen von ihm wurde der Standard scheinbar aus dem Stegreif umarrangiert, und alle Musiker, darunter auch Geller und der spontan auf die Bühne gerufene Trompeter Elmond Vasuki, improvisierten mit einer mitreißenden Spielfreude. Daß hier ein 70. Geburtstag gefeiert wurde, mochte man nach diesem Finale kaum glauben. Wilfried Hippen

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