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Wenn Che Guevaras Ranzen spannt

■ Das Musical zur Madonna: Andrew Lloyd Webbers „Evita“feierte Premiere im Schauspielhaus

Ein kleines Kino irgendwo in der Pampa. Auf der Leinwand ein einsamer Gaucho, eine heulende Ehefrau, eine argentinische Schmonzette. Vor der Leinwand hingerissene Landarbeiter. Dann der Filmriß, der Vorführer tritt ins Licht: „Vor 25 Stunden ist Evita Perón in die Unsterblichkeit eingegangen.“Das Volk heult auf. Kummer, Leiden, Pathos groß. Das Heulen auf der Bühne geht ungebrochen in Choräle über. Eva Duarte, Radiosternchen, inszenierte Wohltäterin und 1944-1953 Frau des Präsidenten Juan Domingo Perón, war den Argentiniern eine Heilige.

Gerade 22 Jahre alt war Andrew Lloyd Webber, als er mit der Rock-Oper Jesus Christ Superstar 1970 schlagartig reich und berühmt wurde. Alt genug, um zu wissen, daß das Volk mehr will, und zwar sofort und zwar am liebsten das Gleiche. Massenidol Jesus war schon verwurstet, Mutter Teresa nicht funky genug – warum also nicht Evita, eine populistische Heilige und dazu sexy. Außerdem – auch das war wichtig Anfang der siebziger Jahre – konnte man in der Geschichte der „prima dama“Lateinamerikas ein bißchen Politik anklingen lassen.

Librettist Tim Rice hat dieser Gedanke so überzeugt, daß er gleich das erste Lied Che Guevara singen läßt, der uneinsichtigerweise im folgenden als singender Erzähler und Evitas schlechtes Gewissen durch den Abend führt. Daß er das Volk zum „Perón!“Skandieren animiert, ist blödsinnig, da den kommunistischen Revolutionär mit den Zielen des faschistischen Diktators nichts verband. Blödsinnig auch, daß Che, der bei Evitas Aufstieg zur First Lady süße 17 war, von James Sbano gespielt wird, der mit Bauch, Bart und Kampfanzug eher an Fidel Castros Erscheinung heute erinnert. Aber so was kommt vor, wenn ein Darsteller der Originalproduktion von 1978 20 Jahre später neben einer ansonsten komplett ausgetauschten Crew auf der Bühne steht.

Daß man grandioses politisches Musical machen kann, hat Cabaret gezeigt. Von Webber darf man das nicht erwarten. Merkwürdigerweise geht er aber auch nicht den erwarteten Weg von High-Society-Staatsmann-Glamour und Arme-Leute-Sehnsuchts-Tränendrüse. Evita, das wie alle Webber-Musicals in Hamburg in unveränderter Original-Choreographie gezeigt wird, bleibt blaß. Die Geschichte vom Aufstieg und frühen Tod der geltungssüchtigen Vorstadtgöre und undurchsichtigen Staatsfrau Evita wird chronologisch abgehakt, ohne den Zipfel eines Geheimnisses zu versprechen. Es gibt keine großen Tanzszenen, keine wahre Identifikationsfigur und vor allem außer „Don't Cry For Me, Argentina“keinen eingängigen Hit. Das Stück wird dafür ungefähr acht Mal eingespielt und im Grunde kennen wir Musical genau so: als Wiederholung.

Christiane Kühl

Gastspiel, Schauspielhaus, Di-Sa bis zum 13. Juli

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