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Auftrag: ethnische Säuberung

Tihomir Blaskić soll für Verbrechen kroatisch-bosnischer Soldaten an Zivilisten verantwortlich sein. Morgen steht er in Den Haag vor Gericht  ■ Von Erich Rathfelder

Die maskierten Männer kamen in der Morgendämmerung. Es war der 16. April 1993. Systematisch wählten sie die Ziele ihres Angriffes aus. Denn in dem 400 Seelen zählenden Dorf Ahmici, das im zentralbosnischen Tal der Lasva nahe der Stadt Vitez gelegen ist, gab es neben der muslimischen Bevölkerungsmehrheit auch einige kroatische Familien. Die maskierten Männer hatten im Rahmen der „Aktion 48 Stunden Asche“ den Auftrag, das Dorf von Muslimen „zu säubern“.

Dann schlugen „die Joker“ – so der Name der Spezialeinheit – zu. Ganze Familien wurden in ihren Häusern eingesperrt, dann wurde Feuer gelegt. Männer wurden auf der Stelle erschossen. Der muslimische Geistliche des Dorfes wurde an das Portal der Moschee genagelt und starb dort elendiglich. Über 100 Frauen und Kinder wurden festgehalten und später in ein Sammellager gebracht. Wahrscheinlich 123 Menschen wurden an diesem Frühlingstag 1993 ermordet.

Das Massaker von Ahmici erregte nicht nur wegen der Brutalität der kroatischen Spezialeinheit Aufsehen. Es markierte den Beginn eines grausamen kroatisch- bosnischen Krieges in Bosnien- Herzegowina, dem Tausende Menschen zum Opfer fallen sollten. Die muslimische Mehrheitsbevölkerung wurde unter den Augen der Vereinten Nationen ein Jahr lang nicht nur mehr von den serbischen Streitkräften des Ratko Mladić und Radovan Karadžić angegriffen, sondern nun auch von der kroatischen Seite. Der militärische Befehlshaber der kroatischen Streitkräfte HVO in Zentralbosnien war damals Tihomir Blaskić. Ab morgen steht er in Den Haag vor dem Internationalen Gerichtshof.

Der Widerstand sollte gebrochen werden

Aus der „serbischen Aggression“ war mit Ahmici in den Augen der Weltöffentlichkeit ein „Bürgerkrieg“ geworden. Und das war durchaus beabsichtigt. Die politischen Führer der Kroaten und Serben in Bosnien-Herzegowina, Mate Boban und Radovan Karadžić, hatten sich schon vorher im österreichischen Graz getroffen und die Aktionen beider Seiten koordiniert. Der Widerstand der muslimisch-bosnischen Bevölkerung sollte gebrochen werden. Danach wollten Karadžić und Boban Bosnien-Herzegowina endgültig in einen kroatischen und einen serbischen Teil aufteilen, die Muslime sollten aus Bosnien verschwinden. Dem HVO-Befehlshaber in Zentralbosnien, Tihomir Blaskić, fiel die Aufgabe zu, einen Teil der „schmutzigen Arbeit“ zu erledigen.

„Wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ ist jetzt der 1960 geborene ehemalige Karriereoffizier der Jugoslawischen Volksarmee in Den Haag angeklagt. Ihm werden zusammen mit anderen kroatischen Militärs und nationalistischen Ideologen wie Dario Kordić, Mario Cerkez sowie Zlatko Aleksovski die Verfolgung von bosnischen Muslimen aus „politischen, religiösen und rassischen Gründen“ zur Last gelegt. Unter dem Kommando von Blaskić wurden laut Anklageschrift „systematische Angriffe“ auf die muslimische Zivilbevölkerung der Städte Vitez, Busovaca, Kiseljak und Zenica sowie vieler umliegender Dörfer unternommen. Dabei wurde gemordet, geplündert und vergewaltigt. Muslimische Männer wurden laut Anklage zu Hilfsdiensten für die kroatisch-bosnische Armee gezwungen, mußten an den Frontlinien Schützengräben ausheben. Viele Menschen wurden in Lagern festgehalten.

Der Fall scheint klar zu liegen, einer Verurteilung des Angeklagten scheint nichts entgegenzustehen. Doch noch bleiben einige Fragen. Vor dem Prozeß meldeten sich Stimmen aus Bosnien, die für Blaskić eintreten. Überraschend vor allem ist die Aussage des Kommandeurs der bosnischen Armee von Travnik, Alagić, der direkt gegen die kroatische Armee kämpfte. Der behauptet nämlich, Blaskić sei ein korrekter Militär gewesen, der alle Absprachen eingehalten habe. Die Verbrechen seien wahrscheinlich von anderer Seite befohlen worden. Deutlicher wird die bosnische Wochenzeitung Slobodna Bosna. Die Verurteilung von Blaskić solle von den wirklichen Verantwortlichen in der politischen Führung der bosnischen Kroaten und in Zagreb ablenken, schrieb das Blatt.

Der Angeklagte stellte sich freiwillig in Den Haag

Auffällig jedenfalls ist, daß sich der schwerkranke Blaskić im Herbst letzten Jahres freiwillig in Den Haag gemeldet hat, wo er seither unter Arrest steht. Dagegen ist der Hauptideologe und Befehlshaber der Region Busovaca, der ebenfalls in Den Haag angeklagte Dario Kordić, untergetaucht. Der politisch Hauptverantwortliche, der ehemalige Präsident der Kroatischen Republik Herceg-Bosna, Mate Boban, hält sich weiterhin unbehelligt in Zagreb auf.

In Bosnien wird deshalb vermutet, mit Blaskić hätten die Kroaten ein Bauernopfer gebracht, um alle Spuren, die in den Präsidentenpalast Franjo Tudjmans führen könnten, zu verwischen. Die Spezialeinheit der Joker habe nämlich direkt Mate Boban unterstanden, und der sei ein Befehlsempfänger des kroatischen Präsidenten Tudjman selbst gewesen.

Jetzt ist es dem Gericht in Den Haag vorbehalten, die Befehlslinien bei den bosnischen Kroaten und die konkrete Schuld des Angeklagten Blaskić nachzuweisen. Gelingt dies, könnte auch gegen Mate Boban Anklage erhoben werden.

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