Süße Sonnenuntergangstapeten

■ Privateste Heimatgefühle in der Deichtorhalle: Die Ausstellung „Home Sweet Home. Interieurs – Einrichtungen – Möbel“zeigt britische Arbeiterwohnungen und Bürgers Traum der Sitzecke

osa Plüsch, Stilstühle und beige Sitzelemente: Kojen voller Einrichtungsgegenstände verwandeln die Deichtorhalle in eine Möbelmesse. Doch was auf den ersten Blick heimelig daherkommt, ist tatsächlich eher vergiftet: Einundzwanzig Künstlerinnen und Künstler aus Europa und den USA zeigen ironische und engagierte Arbeiten zum Thema Wohnumfeld und Heimatgefühl.

Jenseits von funktionellem Sozialdesign und dekorativen Gebrauchsmustern haben sich Künstler seit Beginn der Pop-Art mit der Inneneinrichtung befaßt. Und bei Roy Lichtenstein und James Rosenquist knüpft die eigens für Hamburg konzipierte Schau Home Sweet Home auch an.

Traditionen werden gegen den Strich gebürstet, ob Regina Möller Le Corbusiers Modellhaus zu Puppenhäusern umnutzt oder Jorge Pardo mit Sonnenuntergangstapete und Eukalyptusbildern in einer seiner letzten authentischen Arbeiten ein zynisches Lagerfeuer aufbaut.

Mit kindlichem Spaß zeigt Andreas Schulze anhand einer Modellbaustadt die Verwandlung Dresdens von Altbau über Platte zur Vorherrschaft kapitalistischer Plakate: Heimatverlust im eignen Land. Zwischen den Exponaten verteilt sind drastische Fotos, die der Engländer Richard Billingham vom Leben seiner Unterschichtfamilie gemacht hat. Schöne Menschen in schöner Umgebung zeigen die Panorama-Fotos von Sam Taylor Wood - in ihren Räumen posieren die Menschen wie Personen eines absurden Stücks, sie zelebrieren die Gesten des Wohnens, statt zu kommunizieren.

Zeitgleich zur dokumenta X in Kassel verdient die Hamburger Ausstellung besondere Beachtung, weil Untersuchungen über die Wohnumgebung exemplarisch sind. Nirgendwo sonst finden die Beziehungen zu und zwischen den Dingen so intensiv zur Form, wie in der individuellen oder für individuell gehaltenen engsten Umgebung. Hajo Schiff

Deichtorhalle, bis 28. September