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Das mit dem Pudel Von Susanne Fischer

Neulich erwachte ich in einem falschen, muffigen Bett und befand mich in den fünfziger Jahren. Es war leicht, das herauszufinden, denn alles im Zimmer drohte in einem bräunlich-vergilbten Schwarz-Grau-Gemisch, und das Bettlaken hatte einen weißen, gezackten Rand wie die Fotos von der Hochzeitsreise meiner Eltern.

Am Bettrand stand Meister Ulrich der Greiner und bat mich nachdrücklich, meinen literarischen Kanon aufzusagen. „Schillers Räuber, Schillers Räuber, Hölderin, Hölderlin, Heines Buch der Lieder les' ich immer wieder, Goethes Faust, Goethes Faust“, krächzte ich rasch und ängstlich nach der Melodie von „Meister Jakob“, denn der durchgedrehte Oberlehrer schwang eine Peitsche und drohte, mir das Abitur abzuerkennen, falls ich die Texte nicht im Handumdrehen hersagen könnte. „Das Abitur wird per Haue weggenommen“, schrie der Greiner, „denn wenn nicht jedermann dieselben fünf Bücher liest, muß das deutsche Volk untergehen, samt seinen kostbarsten Feuilleton- Haudegen, für die sich schon lange niemand mehr interessiert!“

Weil er die Peitsche durch die Luft sausen ließ, konnte ich nicht erwidern, daß ich das für eine erfreuliche Vision hielt. Außerdem stand ja mein fünftes Muß-Buch noch aus, wie ich in wachsender Panik bemerkte. Welches könnte es sein? Woran sollte der deutsche Abiturient genesen? Rilke, Mann, Kafka? Die Mao-Bibel? Donald Duck? Paul Celans „Todesfuge“, damit das ewige, wohlfeile, kenntnisfreie Zitieren derselben mal aufhört? Aber Paul Celan ist noch lange nicht tot genug für einen richtigen Kanoniker. Vielleicht lieber das neue Buch von Paul Meyer „Schmiedet Feulletonistenpeitschen zu Fruchtbonbons“?

Noch während ich überlegte, hatte ich ein Déjà-vu. Die Szenerie wurde noch undeutlicher, und ein weitaus altdeutsch wirkenderer Geselle drohte mit schweren Ketten und Kerkerstrafen: „Den Kanon, Weib!“ Wieder sang ich mein Sprüchlein, doch diesmal erntete ich kellertiefes Unverständnis. Man kannte Goethe nicht! Das also war des Pudels Kern, deshalb war die Folter eingeführt! Da zog sie auf, die barbarisierte Zukunft, die nicht mehr wußte, was ein deutscher Fürstenknecht zu Weimar an schwer existentieller Dramatikerkunst zu bieten und zur Humanisierung der Gesellschaft beizutragen hatte. „Faust!“ rief ich noch einmal, „das müßt ihr doch kennen! Das mußte doch jeder kennen, deshalb war es doch immer so langweilig mit all den Leuten!“

Was soll ich sagen? Es ging noch eine Weile hin und her („Das mit der Kneipe! Das mit dem alten Lüstling!“), bis sich herausstellte, daß ich weit in der Vergangenheit gelandet war, vor Goethe und Schiller, Hölderlin und Donald Duck. Da war guter Rat teuer, wie es immer in Grimms Märchen heißt, aber die gab es ja auch noch nicht. „Walther von der Vogelweide! Nibelungen? Hartmann von Aue!, kratzte ich meine dürftigen Kenntnisse zusammen, während ich heimlich den Heiligen Ulrich um seinen Beistand anflehte. Mein Kerkermeister aber prophezeite mir, daß in einer Welt, die Helmold von Bosau nicht mehr kenne, eventuell sogar Atomraketen aufgestellt würden. Darauf prügelte er mich in das abiturfreie Nirwana, das Greiner & Co. eigens für Deppen wie mich eingerichtet hatten.

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