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Völlige Beinfreiheit

Ein Kollektiv zwischen Stangen und Bildschirmen: Die New Yorker Wooster Group zeigt jetzt auch in Berlin ihre O'Neill-Adaption „The Hairy Ape“. Willem Dafoe als furcht- und mitleiderregender Schiffsheizer Yank!  ■ Von Petra Kohse

Die Gruppendisziplin reicht bis zum Applaus. „Hepp“, ruft Willem Dafoe, und die Mitglieder der Wooster Group verbeugen sich freundlich und straff. Dann Dafoe einmal allein, dann wieder alle zusammen und ab. Eine Lawine von Dafoe-Porträts und Dafoe-Interviews hatten Lifestyle-Magazine dem Gastspiel der New Yorker Theatergruppe in Österreich und Deutschland voranrollen lassen. Schließlich spielt der 41jährige Willem Dafoe nebenbei in Hollywood-Filmen („Der englische Patient“), und dieses „nebenbei“ macht ihn ebenso interessant wie die Tatsache, daß er mit der Wooster-Group-Regisseurin Elizabeth LeCompte seit fast 20 Jahren zusammenlebt und in der Gruppe nur einer unter vielen sein will.

Tatsächlich sind Stars in der Ästhetik der Wooster Group auch gar nicht vorgesehen. Als Protagonist in Eugene O'Neills expressivem Stationendrama „The Hairy Ape“ („Der haarige Affe“, 1922) ist Dafoe eher Teil einer Installation, zu der die stilisierte und rhythmisierte Darstellungsweise aller acht Schauspieler ebenso gehört wie Geräusche, Musik, Videobilder, die Kostümierung und die Bühnenarchitektur.

O'Neills Geschichte ist voll sozialer und menschlicher Verzweiflung. Anfangs ist der Schiffsheizer Yank mit sich und der Welt im reinen. Dann aber begegnet ihm die Fabrikantentochter Mildred, die während einer Seereise unter Deck spazierengeht, um ihr soziales Engagement zu demonstrieren. Mit Yank aber hat sie nicht gerechnet. Dreckig, schwer und vulgär steht er vor ihr, Mildred fällt in Ohnmacht — und Yank beginnt zu hassen, sich und sie. Wie ein Tier hat Mildred ihn angesehen, er will Rache und geht in die Stadt. Dort aber wird er nur ausgelacht, zusammengeschlagen und in den Knast gesteckt. Selbst bei Gewerkschaftern findet er keine Unterstützung; weil er die Stahlfabrik von Mildreds Vater in die Luft sprengen will, halten sie ihn für einen Regierungsspitzel. Es kommt, wie es muß, Yank geht in den Zoo zu den haarigen Affen, befreit einen Gorilla — und wird von dessen Umarmung zerquetscht.

Ein Sündenfall, eine Höllenfahrt und die Erkenntnis, daß es mit der gesellschaftlichen Entwicklung nicht vorwärts- und nicht rückwärtsgeht. Elizabeth LeCompte und die Wooster Group stellen sich dem groben Expressionismus ohne Sozialkitsch und Pathos und gießen den doppelten Kulturschock Yanks in ihre eigene komplexe Mischung aus Multimediaelementen, volkstümlicher Drastik und Anleihen beim asiatischen Theater.

Ein Metallgerüst von Jim Clayburgh, in Berlin im Theater am Halleschen Ufer aufgebaut, ist Schiffsbauch, Stadt, Gefängnis und Affenkäfig zugleich. Über mehrere Fernsehschirme flimmert ein Boxkampf, gong!, soundsovielte Runde, alle Heizer rucken auf ihrem Gestänge nach links und wieder zurück. Der Boxkampf als Metronom, das Sinnbild kontrollierter Gewalt als Antrieb und Maßstab zugleich. Später werden die Fernsehschirme zu Bullaugen, als schwarzrote Fläche schwappt das Meer vorbei, Werbung wird gezeigt, ein abstrakter Frauenkörper, oder Dafoe spricht aus einem der Bildschirme zu den Gewerkschaftern. Nur dann reagieren die Schauspieler auf das Medium, die Videoeinspielungen von Christopher Kondek und anderen sind nicht Kritik, sondern Kontext.

Ein Darstellerkollektiv zwischen Stangen und Bildschirmen also. Dazu Windgeräusche, Möwen oder die Musik von John Lurie: Saxophon, Schlagzeug und Trommeln, rituell und jazzig, aber mit Melodieführung, recht konventionell. Andererseits verwenden alle Darsteller Mikrophone, was den Text verzerrt, besonders bei den Frauen. Kate Valk spricht als Mildred wie eine galaktische Minnie Mouse, und so kommt sie den Heizern wohl auch vor.

Eine behende, eindeutige Bewegungssprache dominiert. Die Schauspieler stecken in fernöstlich anmutenden, gepolsterten Mänteln und Hosen, an denen ein Sitzstab befestigt ist, der ihnen ermöglicht, in aufrechter Position die Beine völlig frei zu bewegen. Es wirkt mal wie Commedia dell'arte, mal wie Puppenspiel, vielleicht auch wie Kyogen, das ritualisierte Possenspiel aus Japan.

Willem Dafoes Gesicht ist schwarz geschminkt, die roten Haare kleben am Kopf, die Augen funkeln, den großen Mund mit den noch größeren Zähnen reißt er weit auf. Es ist furcht- und mitleiderregend, eine Katharsis indes ist nicht intendiert, dazu ist alles zu schnell, zu deftig und zu kontrolliert.

Nur 80 Minuten dauert die Inszenierung. Die Szenenschlüsse wirken merkwürdig verwaschen, so als ob jede Szene hinterher nur vorläufig gewesen sein will. Insgesamt aber werden High-Tech, eigener und exotischer Traditionalismus, Literatur und Geräusch, klare Künstlichkeit und stilisierter Naturalismus in erstaunlich unmanierierter Reibungslosigkeit verbunden. Eine O'Neill-Maschine, hepp.

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