: Ich bin meine eigene Partei
Jürgen Möllemann (FDP), den auch Parteifreunde schon als Opportunisten und „Quartalsirren“ beschimpft haben, sieht sich selbst als unabhängigen Macher, für den Parteipolitik an zweiter Stelle kommt ■ Von Bettina Gaus
Im Büro von Jürgen Möllemann in Bonn steht neben dem Schreibtisch eine deutsche Fahne. Aus der eigenen Tasche bezahlt: „In den USA hat jeder Parlamentarier eine Fahne im Büro. Was soll daran ungewöhnlich sein?“ Rechts an der Wand hängt eine kleine Urkunde. „Für Zivilcourage. Zu Ehren von Herrn Jürgen Möllemann werden in Israel fünf Bäume gepflanzt“ steht darauf zu lesen. Unterschrift: Jüdischer Nationalfonds. „Darauf bin ich stolz“, sagt der FDP-Politiker, der eigentlich eher als Freund der arabisch-islamischen Welt gilt.
Für mutig und couragiert will er gern gehalten werden. Ausgerechnet Möllemann? Dem ist gelungen, was im Nachkriegsdeutschland kein anderer geschafft hat. Allein sein Name genügt, um eine ganze Gattung von Politikern und deren Handeln verächtlich zu beschreiben. Die „Möllemänner“ sind zum Begriff geworden: für glatte Karrieristen, stets nur mit dem eigenen Vorteil im Blick, für den sie opportunistisch jedes Ziel zu verraten bereit sind.
„Das langweilt mich“, sagt Jürgen Möllemann zu diesem Image wegwerfend und gibt dann doch zu, daß es ihn manchmal trifft. Öffentlich pflegt er das Bild der draufgängerischen Frohnatur. Im persönlichen Gespräch wirkt der Politiker überraschend reserviert, fast mißtrauisch. Sparsame Gesten, unbewegtes Gesicht, kaum je ein Lächeln. Keine Witzeleien. Das Visier bleibt fest geschlossen.
Den Vorwurf des Opportunismus kann er nicht verstehen. „Das ärgert mich auch.“ Manche Äußerungen habe er vielleicht nicht genau genug bedacht, auch inhaltliche Fehler gemacht. Aber er sei doch in der Sache immer fest geblieben. „Ich hätte eine Menge Gelegenheiten gehabt, ein etwas bequemeres Leben zu führen.“
Eine Gelegenheit hat er gerade mal wieder verpaßt. Wenige Tage bevor er sich auf dem FDP-Parteitag ins Präsidium wählen lassen wollte, hatte er in einem Stern- Interview so richtig vom Leder gezogen: Kanzler Kohl „wirkt ausgebrannt“, FDP-Minister Rexrodt „kommt nicht über“. Da konnte ihm dann nicht einmal der Ehrenvorsitzende Hans-Dietrich Genscher helfen, der ihn zur Wahl vorschlug. Möllemann fiel durch – eine Schlappe auch für seinen Gönner. „Für einen Freund muß man auch ein Risiko eingehen“, sagte Genscher dazu später der taz. „Er ist ein standfester Mann und eine Persönlichkeit, die eine liberale Partei braucht. Es muß auch Leute geben, die mit markanten Erklärungen aufzuwarten haben.“
Genscher ist einer der ganz wenigen Spitzenpolitiker der FDP, die den Senkrechtstarter von einst heute noch einen Freund nennen. Andere fürchten ihn. „Jetzt rächt sich das. Man hätte ihn einbinden müssen“, erschrickt ein Präsidiumsmitglied, als bekannt wird, daß Möllemann nach seiner Niederlage nun überhaupt nicht mehr für den Parteivorstand kandidieren will. „Jetzt wird er von außen gegensteuern.“ Möllemann hat der Treue zu sich selbst schon öfter die Solidarität mit seiner Partei geopfert. „Weist es Kompetenz für Führungsaufgaben nach, wenn man das, was man denkt, immer erst nach Parteitagen sagt?“
Fraktionsdisziplin ist eine tragende Säule des politischen Systems in Deutschland. Seit dem Ende des Kalten Krieges aber fällt es den Parteien zunehmend schwer, sich mit einem klaren Profil voneinander abzugrenzen. Ist Möllemann einfach seiner Zeit voraus? Konnte sein Name zum Gattungsbegriff werden, weil er als erster Politik auf eine Weise verstand, an die wir uns noch zu gewöhnen haben werden?
„Der Weg geht von Grundsatzorganisationen hin zu Wahlvereinen“, glaubt er. „Wir werden eine Amerikanisierung der Politik haben. Die Leute begreifen in der Dienstleistungs- und Mediengesellschaft Politik weniger als Programm, sondern als Auftrag auf Zeit an Politiker, bestimmte Probleme zu lösen. Die Parteien verlieren die Breitenwirkung.“
Die Mediengesellschaft: Die Wirkung von Presse und Kameras nimmt Jürgen Möllemann ernst. Im Bundestag sitzt er in diesen Tagen oft allein in einer der letzten Reihen. Da kann man die anderen am besten beobachten. Bei der Debatte, in der die Opposition die Entlassung von Finanzminister Theo Waigel forderte, sei Wolfgang Schäuble ganz verwirrt gewesen. Der Fraktionsvorsitzende der Union habe häufig auf Zurufe aus dem Plenum reagiert. „Und das bei einer Live-Übertragung im Fensehen.“ Auf dem Bildschirm kommt so etwas schlecht an.
Die Wirkung anderer kann der FDP-Politiker treffsicher und sensibel analysieren. Für die eigene Wirkung fehlt ihm oft das rechte Gespür. Zum geselligen Presseabend vor dem FDP-Parteitag kam er mit einem Schal in den Farben des Fußballvereins Schalke 04, bei dem er im Aufsichtsrat sitzt und der gerade den Uefa-Pokal gewonnen hatte. Ein gelungener Gag, alles lachte. Möllemann behielt den Schal den ganzen Abend über an. „Er weiß nicht, wann Schluß ist“, meint ein Journalist. „Als die ernsthafteren Gespräche geführt wurden, ging er den Leuten mit dem Schal auf die Nerven. Es gab dann die Bilder, wie er sich mit dem Schal einer Gruppe nähert und alle sich abwenden.“
Jürgen Möllemann will handeln. „Mich hat fasziniert, daß man mit Engagement und Einsatz viel bewegen kann.“ Deshalb wurde er Berufspolitiker. Aber was kann er noch bewegen? Auftritt bei einer Podiumsdiskussion der Friedrich- Naumann-Stiftung zur Gesundheitsreform in Bonn. Im Museumscafé sitzt das gehobene Bürgertum. Herren im karierten Tweed, Damen im Kostüm oder blauen Blazer. Der FDP-Politiker, der so hemdsärmelig und rauhbauzig auftreten kann, spricht hier leise und konzentriert. „Gnädige Frau“ tituliert er eine Fragerin. Die lächelt geschmeichelt. Skeptische Blicke werden freundlich, Wohlwollen schlägt ihm entgegen. Aber der Gestus ist allzu zurückhaltend. Er lullt die Zuhörer ein. Die Gesichter im Publikum bleiben leer, als Möllemann die Gesundheitsreform der Bundesregierung scharf kritisiert.
Es ist für den 51jährigen nicht mehr so leicht wie früher, Aufsehen zu erregen. Die Öffentlichkeit hat sich an seine Alleingänge gewöhnt. Derzeit tritt er als einziger prominenter FDP-Politiker dafür ein, sich auch der SPD zu öffnen. Nur so könne die Partei ihr gesamtes Wählerpotential ausschöpfen. Die Kunst bestehe darin, sich nach beiden Seiten offenzuhalten: „Wenn ich einseitig nur sage: immer CDU, und auf Schröder eindresche, dann kann ich doch nicht erwarten, daß Schröder-Fans FDP wählen.“ Derzeit sei die Distanz zwischen der FDP und der SPD sicher größer als die zwischen den Liberalen und Kohl. „Aber wenn man jetzt gezwungen wäre, Steuern zu erhöhen, dann wäre der Unterschied zur SPD nicht mehr so groß. Wenn ich der Union nicht plausibel sagen kann, wir haben eine Alternative, dann wird sie unsere Position nicht so sehr zum Einlenken bringen, wie das sonst der Fall wäre.“
Daß jemand diese Haltung einmal mehr als opportunistisch bezeichnen könnte, will ihm gar nicht einleuchten: „Koalitionen sind für jede Partei Zugeständnisse auf Zeit.“ Verständnislos hatte er nach dem Bündniswechsel der FDP 1982 und dem damit verbundenen Sturz von Bundeskanzler Helmut Schmidt beobachtet, wie Parteifreunde in Tränen ausbrachen: „Ich heul' doch nicht wegen einem Sozialdemokraten. Die heulen auch nicht wegen uns.“ Würde Jürgen Möllemann überhaupt aus anderen als persönlichen Gründen weinen? Über Politik spricht er geschäftsmäßig und nüchtern. Schwer vorstellbar, daß eine Entwicklung ihm tragisch erscheinen kann. Historische Augenblicke sind seine Sache nicht.
Er hat sich viele Feinde gemacht. Das Urteil von FDP-Spitzenpolitikern über Jürgen Möllemann fällt drastisch aus. Fraktionschef Hermann Otto Solms hat ihn vor Jahren als „Quartalsirren“ bezeichnet, Wirtschaftsminister Günter Rexrodt soll den Ausdruck kürzlich wiederholt haben. Mit Außenminister Kinkel pflegt Möllemann schon lange eine innige Feindschaft. Von Irmgard Schwaetzer wird kolportiert, sie habe ihn ein „intrigantes Schwein“ genannt.
Wer nicht auf die Zusammenarbeit mit ihm angewiesen ist, urteilt milder. „Seine Sehnsucht nach Ruhm ist zehnmal so groß wie seine Sehnsucht nach Macht“, meint der SPD-Abgeordnete Freimut Duve, der seit 17 Jahren mit ihm im Bundestag sitzt. Möllemann sei kein Zyniker. „Es ist gar nicht sein Zeitalter. Er ist jemand, der eigentlich etwas produzieren möchte, aber dauernd mit dem Bewerben eines Produkts beschäftigt ist, das es gar nicht gibt. Er ist ein amerikanischer Loser, der nicht ins deutsche System paßt.“
Dabei kennt er das politische System seit seiner Jugend. Gerade 16 Jahre war er alt, da ist er in die Junge Union eingetreten. „In dem Dorf, wo ich aufgewachsen bin, gab es nichts. Ich habe mich im Sportverein engagiert. Das einzige, was es sonst noch gab, war die Junge Union. Ich wollte mich betätigen“, erzählt Möllemann. Später war er in Münster zur Zeit der Studentenrevolten Asta-Vorsitzender. Das paßte mit der Mitgliedschaft in der CDU bald schlecht zusammen. 1969 trat er aus, 1970 in die FDP ein. War er nie in Versuchung, sich der Apo anzuschließen? Überlegt habe er schon. Aber: „Man merkte, daß man außerparlamentarisch viel sagen konnte, aber es tat sich ja nichts.“
Mit 27 Jahren saß er zum ersten Mal im Bundestag. Seither ist er für fast alles schon mal zuständig gewesen. Bildungsminister war er, Staatsminister im Auswärtigen Amt und Wirtschaftsminister. Er wollte die FDP als erste Partei Europas auf ein Ja zur Neutronenwaffe festlegen, Panzer nach Saudi-Arabien liefern, die Bundeswehr verkleinern, den Bildungsetat vergrößern, gewerbsmäßige Arbeitsvermittlung zulassen, Sozialleistungen abbauen und Investoren in die neuen Länder locken. Derzeit ist er gesundheitspolitischer Sprecher seiner Fraktion, will die Wehrpflicht abschaffen, war gerade überraschend in Teheran und hofft als Landesvorsitzender seiner Partei in Nordrhein- Westfalen auf ein Scheitern der rot-grünen Koalition. Dann, so glaubt er, gebe es dort Chancen für ein sozialliberales Bündnis. Der Mann hat viele Projekte.
Kaum ein Politiker hat so viele Anfeindungen und Niederlagen zu verkraften gehabt wie Möllemann – und immer dann, wenn er endgültig ausgezählt zu sein schien, stand er wieder auf. Doch, zweimal oder dreimal habe er schon an einen Rückzug aus der Politik gedacht. Aber wirklich vorstellen könne er sich das nicht: „Politik gehört zu meinem Leben.“ Nach dem Rücktritt als Wirtschaftsminister saß er häufiger als sonst zu Hause. Da haben ihn die halbwüchsigen Töchter dann schon einmal gefragt, ob er eigentlich nichts zu tun hätte.
Was täte er, wenn ihn die FDP jemals aus ihren Reihen ausschlösse? Für die Antwort muß Jürgen Möllemann nicht lange überlegen: „Eine neue Partei gründen.“ Und nach kurzer Pause: „Ich lass' mir doch nicht von einer Partei vorschreiben, ob ich mich politisch betätigen kann.“
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