■ Vorschlag: Neo-Tropicalismo! Gilberto Gil und Chico Csar im Tempodrom
Vorschlag
Neo-Tropicalismo! Gilberto Gil und Chico Csar im Tempodrom
In den Sechzigern wurde Salvador da Bahia, das schwarze Rom, zu der heimlichen Hauptstadt Brasiliens, die es seitdem ist. Von der nordbrasilianischen Stadt ging damals eine neue Bewegung aus, zu deren Galionsfiguren Gilberto Gil gehörte. Der politisch engagierte Musiker initiierte den Aufbruch des Tropicalismo, der regionale Stile Brasiliens mit Einflüssen moderner Rockmusik verband: Für damalige Verhältnisse ein radikales Programm. Weil das an die Macht geputschte Militär mit Zensur und Verfolgung auf oppositionelle Regungen reagierte, flüchtete Gilberto Gil, wie viele andere, 1971 ins Exil nach London, aus dem er aber, mit neuen Inspirationen, bald wieder nach Brasilien zurückkehrte. Seine Popularität hat er sich bis heute bewahrt.
Auf seinem jüngsten Album, „Quanta“, nach fünfjähriger Pause fast schon ein Alterswerk, philosophiert er nun über das Verhältnis von Naturwissenschaften und Kunst und über die Bewahrung lokaler Kultur in den Zeiten des Internets, ohne dabei einem defensiven Kulturkonservatismus das Wort zu reden. Meditativ ist die Grundstimmung, wenn er zu akustisch-entspanntem Samba-Jazz mit subtilen Betrachtungen über Bakterien und Galaxien, Milchstraßen und Elektronen sowie Gottes Spuren in der DNA aufwartet. Auch wenn es dabei von Yin und Yang nur so wimmelt, zum in Brasilien weit verbreiteten Geschäft professioneller Heilsversprecher mit spirituellen Bedürfnissen hat er auch einen kritischen Kommentar abzugeben. In den Neunzigern ist nun eine neue Generation „junger Wilder“ auf den Plan getreten, die mit viel Elan die brasilianische Szene durcheinanderwirbelt. In vorderster Front steht Chico Csar. Innerhalb kürzester Zeit stieg der Nobody aus der nördlichen Provinz Paraiba zum neuen Shooting-Star am nicht gerade an Attraktionen armen brasilianischen Pop-Firmament auf.
Seinen Cäsarentitel nimmt Chico Csar wörtlich, weswegen er sich gern mit gezücktem Zepter in der Pose eines exzentrischen Space- Häuptlings zeigt. Der einstige Redakteur der brasilianischen Elle vermischt westliche mit karibischen und afrikanischen Elementen gekonnt zu funkigem Samba-Reggae. Die Devise seines Neo-Tropicalismo: „Respekt vor der Tradition, ohne in Ehrfurcht zu erstarren.“ Oder, um es mit den Worten Gilberto Gils auszudrücken: „Different sounds, yes, for equal drums.“ Daniel Bax
Heute ab 19.30 Uhr im Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten
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