: Medizin aus dem Himalaja
■ Neu im Kino: „Das Wissen vom Heilen“von Franz Reichle / Lehrfilm ohne Bergblick
Der Dalai Lama hat Husten, und sein Leibarzt Dr. Tenzin Choedrak flüstert ihm ehrerbietig seine Ratschläge zu: Seine Heiligkeit möge möglichst viel ruhen und die verschriebenen Pillen einnehmen. Diese Szene in Franz Reichles Dokumentarfilm „Das Wissen vom Heilen“wirkt zugleich rührend und komisch in ihrer weltlichen Normalität. Solch einen Hausarzt wie dieses kleine, runzlige Männlein möchte man auch haben, und der Film belegt sehr überzeugend, daß seine tibetischen Kuren und Kräutermischungen eine ganz erstaunliche Heilkraft besitzen.
Diese Botschaft ist dem Regisseur das Wichtigste. Das Medium hat für ihn nur sekundäre Bedeutung (parallel zum Film hat er auch ein Buch mit dem gleichen Titel geschrieben), und so führt er betont kunstlos in die Konzeption der tibetanischen Medizin ein. Es wird also kaum die exotische Esoterik in schneebedeckten Gebirgslandschaften geboten, die alle anderen Dokumentarfilme über die tibetanische Kultur bestimmt. Für monumentale Berge oder pittoreske Details hat Reichle kaum einen Blick oder Kameraschwenk übrig. Er zeigt statt dessen lieber genau, wie die verschiedenen Kräuter von den Lehrlingen Tenzin Choedraks zerrieben und vermischt werden oder wie er seine Patienten betastet, ihren Puls mißt und sie genau über ihre Leiden und Lebensumstände befragt.
Es fällt dabei auf, wie pragmatisch und weltoffen die tibetanischen Ärzte mit ihrer uralten Tradition umgehen. Die uralten Schriftrollen mit den Rezepten seiner Vorgänger aus dem 12. Jahrhundert beleuchtet Dr. Tenzin ständig mit seiner kleinen Taschenlampe. Durch tibetanische Mittel geheilte Patienten, denen westliche Ärzte keinerlei Besserungschancen für ihre Tumore, Herzkrankheiten oder lahmen Gliedmaßen diagnostiziert hatten, stellt uns Reichle in Ostsibirien und in der Schweiz vor. Dort fertigt ein Pharmakaufmann Kräuterpillen nach den tibetanischen Rezepten an, und auf seine Anregung hin werden die Mittel durch Forschungsprojekte in Israel und Österreich mit modernster Wissenschaft analysiert.
„Das Wissen vom Heilen“ist in erster Linie ein Lehrfilm für medizinisch Interessierte. In Bremen wird er anläßlich der Ausstellung „Chinesische Heilkunde“gezeigt, obwohl dies angesichts der Vernichtung der tibetanischen Kultur durch die chinesischen Besatzer ein peinlicher Fauxpas ist. So behandelt Dr. Tenzin Choedrak auch eine tibetanische Nonne, die von den chinesischen Machthabern verfolgt wurde, und er hat Tränen in den Augen, wenn er merkt, wie wenig er hier noch zu heilen vermag. Gerade weil Reichle so präzise und ohne jegliche Schwärmerei erzählt, bleiben solche Szenen des Films lange im Gedächtnis. Wilfried Hippen
Originalfassung mit Untertiteln / Cinema und Casablanca (Ol)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen