Eine schrecklich schrille Homo-Familie

■ Demonstration im Wandel: Lautstark Rechte einfordern, lautstark fröhlich sein

Pfingsten 1973, die erste Schwulendemo in Berlin. Eine Gruppe bärtiger Männer marschiert über den Ku'damm, in Parkern und Schlaghosen. Der Zug ist unauffällig, und kaum etwas unterscheidet ihn von anderen Demos – mit Ausnahme der Kommentare am Rande: „Geht doch rüber in die Zone“, oder: „Man hat wohl vergessen, euch zu vergasen, euch schwule Säue.“

Bernd Gaiser nimmt an dieser ersten Schwulendemo teil und ist noch heute entsetzt über die angespannte Stimmung, die damals herrschte: „Dabei waren wir ein völlig harmloser Haufen.“ Einige hatten sich Kapuzen übergezogen – schwule Lehrer, die sich anders nicht an die Öffentlichkeit trauten. Plötzlich erscheinen einige Italiener und Franzosen in Frauenkleidern – die Berliner Schwulen beschimpfen sie als Nestbeschmutzer. Die Boulevardpresse schreibt: „Marsch der Lidschatten“.

Sechs Jahre später, 1979, die erste Christopher Street Day-Parade in Berlin. Spontan und familiär. Ein Wagen mit Megaphon vorneweg. 400 Homosexuelle hinterher, vom Savignyplatz zum Halensee. Bernd Gaiser hat die Parade mitorganisiert, „aus dem Frust heraus, weil seit Jahren nichts mehr los war“. Wochenlang war er mit Freunden durch die Kneipen gezogen, hatte Flugblätter verteilt und für die Parade geworben. Die ist dann nicht ganz so schrill wie erwartet, auch wenn einige in Kostüm und Fummel durch die Straßen tanzen. Die Passanten nehmen's diesmal gelassen. Und die Homosexuellen nehmen nach der Demo Platz in den Cafés in Charlottenburg – zum Kuchenessen.

Spontan und in letzter Sekunde organisiert finden auch die folgenden CSDs statt. Von Jahr zu Jahr bunter und voller. Bonbonfarbene Kostüme, Strapse und Fummel. Mehr Lesben, die in geschmückten Wagen durch die City ziehen. Mitte der 80er immer mehr kommerzielle Wagen der einschlägigen Kneipen. Und immer mehr Homos aus der Subkultur. „Vorher waren wir nur die Ewiggleichen“, erinnert sich Wolfgang Theis. „Einige Strenggläubige würden auch sagen: Damit begann die Verwässerung der politischen Inhalte.“

Der CSD nimmt nach der Wende mehr und mehr den Charakter eines Volksfestes an und wird nunmehr professionell organisiert. 50.000 Brüder und Schwestern waren es im vergangenen Jahr – und 50 Wagen. „Eine Art zweite Love Parade“, meint Daniela von Raffay, Aktivistin der ersten Stunde. Weniger Politik. Dafür mehr Kommerz. Andreas Meyer-Hanno, langjähriger Schwulenbewegter, findet dagegen: „Jetzt endlich haben die Homo-Demos eine Selbstverständlichkeit und eine Fröhlichkeit bekommen, wovon wir früher nur träumen konnten.“ Gudula Hörr