: Atempause für die Kosmonauten der Raumstation
■ Nach der „Mir“-Kollision: Temperatur erhöht, Lage unklar. Ersatzteile für die schwierigen Reparaturen werden kommende Woche in den Orbit geschossen
Berlin/Koroljow (taz/rtr/dpa) – „Ich habe erstmals seit der Kollision das Gefühl, daß sich die Lage stabilisiert hat“, funkte Mir-Kommandant Wassili Ziblijew gestern zur Bodenstation im russischen Koroljow.
Nach dem Zusammenstoß der elf Jahre alten Mir mit der „Progress“-Versorgungsrakete am Mittwoch herrscht an Bord der Station Energieknappheit. Rund ein Drittel der Stromversorgung ist ausgefallen. Alle geplanten Experimente wurden gestrichen. Die Besatzung muß zudem auf Gymnastikübungen verzichten, weil sie einen erhöhten Sauerstoffverbrauch zur Folge hätten. Das Turnen ist wichtig, weil in der Schwerelosigkeit ansonsten die Muskeln schneller abgebaut werden. Wegen des Stromausfalls müssen die Astronauten auch mit einer höheren Luftfeuchtigkeit und größerer Wärme zurechtkommen. Die Temperatur betrug am Freitag 23 Grad Celsius und war damit fünf Grad höher als bisher.
Die Laborausrüstung im beschädigten Labormodul „Spektr“ ist nach Einschätzung eines Nasa- Experten nicht mehr brauchbar. Durch die Kollision wurde ein briefmarkengroßes Loch in die Außenhaut gerissen und ein Teil der stromliefernden Sonnenflügel zerstört. Ob die ganze Station aufgegeben werden muß, hängt an einem Spezialkabel: Es leitete vor dem Unfall den Strom der Spektr- Solarzellen durch die Verbindungsluke in die anderen Teile der Mir. Als die Astronauten die Luke schlossen, um so ihren Luftvorrat in den restlichen Teilen der Station zu sichern, unterbrachen sie damit das Kabel. Es sei geplant, diese Luke mit einer hermetischen Schleuse zur Durchleitung von Kabeln nachzurüsten, teilte das Flugleitzentrum mit.
Die Bodenkontrolle legte den Termin für den Start einer Rakete mit den dringend benötigten Ersatzteilen und Spezialwerkzeugen auf den 4. Juli fest. Als Ausweichtermin wurde der 5. Juli genannt. Die Reparaturarbeiten sind jedoch sehr schwierig. Noch nie mußte eine irdische Raumfahrtcrew ein Loch in der Aluminiumhülle ihres Schiffes flicken.
Laut der Bodenkontrollstation haben die beiden Kosmonauten und ihr amerikanischer Kollege in der Nacht abwechselnd geschlafen. Dennoch seien sie wegen der enormen Anspannung erschöpft. Seit dem Leck in Spektr muß immer einer der drei zur Kontrolle des Luftdrucks Wache schieben.
Sowohl die USA als auch Rußland haben starkes Interesse am Weiterbetrieb der Station: Über fünf Jahre hinweg zahlen die USA 473 Millionen Dollar an die unter chronischem Geldmangel leidenden russischen Raumfahrtorganisationen – ein Teil davon als Untermiete für die Mir, der Rest für die Ausbildung von US-Astronauten für die kommende internationale Raumstation „Alpha“. rem
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