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Ruhiger Wahlauftakt in Tirana

Albanien stimmt über ein neues Parlament ab. Doch die Vergabe von 40 Sitzen ist nach wie vor unklar. Vertreter des Südens drohen mit einem neuen Aufstand, falls Berishas Partei gewinnt  ■ Aus Tirana Barbara Oertel

Im 970-Einwohner-Dorf Petrela, rund 15 Kilometer von der albanischen Hauptstadt Tirana entfernt in den Bergen gelegen, ist an diesem Tag die örtliche Schule zum Wahllokal mutiert. An der rechten Wand thront das zehnköpfige Wahlkomittee, in dem die wichtigsten Parteien repräsentiert sind. Vom Tisch gegenüber beobachtet eine Vertreterin der OSZE aufmerksam das Geschehen und macht sich ständig Notizen. In der Mitte stehen die beiden Urnen: eine für die Wahlen, die anderen für die Abstimmung über die Wiedereinführung der Monarchie.

Jedem Wähler wird, bevor er die beiden Stimmzettel erhält, eine spezielle Tinte auf den Arm gesprüht, um eine mehrmalige Stimmabgabe auszuschließen. Diejenigen, die weder lesen noch schreiben können, werden von einem Familienmitglied oder einer anderen Vertrauensperson begleitet.

Shyqyri Kugi ist einer der ersten, der seine Stimme abgegeben hat. „Ich habe die Sozialisten gewählt, sie sind keine Kommunisten mehr, und wir brauchen doch Pluralismus in unserem Land“, sagt der 72jährige. Nicht nur der Demokratischen Partei (DP) von Staatspräsident Sali Berisha, auch der Monarchie hat er eine Absage erteilt. „Ich habe gegen die Monarchie gestimmt. Ich weiß, was das bedeutet. Damals habe ich Schuhe aus Autoreifen getragen“, sagt er und fügt hinzu: „Alles, was wir wollen, sind Ruhe und Ordnung. Ob es uns besser gehen wird, ist Schicksal. Und das liegt auch in der Hand von Europa.“

Auf der Straße von Petrela in Richtung Tirana ist kaum Verkehr. Entgegen den Ankündigungen ist auch von verstärkter Militärpräsenz wenig zu bemerken. Nur hin und wieder sieht man ein Fahrzeug der Multinationalen Friedenstruppen (MPF). Auch in Tirana bleibt es bis Mittag ruhig. Bereits in der Nacht zuvor war deutlich weniger geschossen worden. Jedes der 900 Wahllokale wird von einem bewaffneten Polizisten bewacht. Zusätzlich statten Polizeibataillone den Abstimmungsstätten stündlich einen Besuch ab.

„Bis jetzt hat es keine besonderen Vorfälle gegeben. Alles ist ziemlich normal. In der vergangenen Nacht wurde erstmals niemand verwundet“, sagt ein Polizist von der Polizeistation 3 im Zentrum Tiranas. Trotzdem sei eine direkte Telefonverbindung zwischen der Tiraner Polizeileitung und der MPF eingerichtet worden, um sich notfalls gegenseitig zu Hilfe zu kommen. Auch für den Abend erwartet er keine größeren Probleme. Bis Redaktionsschluß wurde nur aus der westalbanischen Stadt Rrushbull ein Überfall auf ein Wahllokal gemeldet.

Die Wahllokale sind bis 18 Uhr geöffnet. Nach langen Diskussionen und der Ankündigung des sozialistischen Übergangsregierungschefs Baschkim Fino, die örtliche Zeit um zwei Stunden vorzustellen, hatte sich in letzter Minute das Verfassungsgericht eingeschaltet und den Zeitpunkt für die Schließung um drei Stunden vorverlegt. Ungeklärt hingegen ist weiterhin, wie die 40 von 155 Parlamentssitzen, die nach dem Verhältniswahlrecht vergeben werden, verteilt werden sollen.

Nach Angaben der Zentralen Wahlkommission waren bis gestern mittag in vier von 115 Wahlkreisen noch keine Stimmzettel eingetroffen. Im Gespräch war, die Wahlen in diesen Gebieten einige Tage später abzuhalten. Mit den ersten verläßlichen Ergebnissen wird frühestens morgen gerechnet.

Auch die alltäglichen Schreckensmeldungen aus dem Süden des Landes lassen am Wahltag bislang auf sich warten. Noch vor zwei Tagen hatte der Chef des Rettungskomittes in Vlora, Luftar Petoshati, mit einem erneuten bewaffneten Aufstand gedroht, falls die Demokraten von Sali Berisha die Wahlen gewinnen sollten. Albert Shyti, ehemaliger Rebellenführer von Vlora und jetzt Kandidat für die Sozialistische Partei, legte noch nach: „Das Volk wird wählen und es wird Berisha hinwegfegen. Wenn es das nicht mit seinem Votum schafft, wird es zu den Waffen greifen und Berisha mit Waffen vertreiben.“

Auch die oppositionelle Presse hatte am letzten Tag vor der Wahl noch einmal Stimmung gegen den Präsidenten gemacht. Die unabhängige und erst unlängst gegründete Tageszeitung Independent machte ihre Wochenendausgabe mit der Schlagzeile „Auf Wiedersehen, Sali Berisha“ und neun Fotos des Staatschefs aus den Jahren 1991 bis 1997 auf. Das erste Foto zeigt einen siegessicheren, grinsenden Berisha. Auf dem letzten Foto ist dem Präsidenten das Lachen bereits vergangen. Zuvor hatte das gleiche Blatt von einer Äußerung der Spitze der DP berichtet, wonach Berisha, auch bei einer Niederlage, nicht von seinem Amt als Präsident zurücktreten werde. Immerhin sei er mit zwei Dritteln der Stimmen des Parlaments gewählt worden, so das Argument DP- Sprechers Vili Minarolli.

In der Tiranaer Schule „Avri Rustemi“ stehen die Menschen Schlange. In der Halle sitzt ein bewaffneter Polizist und winkt ab. „Kein Problem“. Ein Mann verläßt das Gebäude, ein Kind an der Hand. „Ich glaube, daß die Wahlen fair sein werden. Wir sind froh, daß so viele ausländische Beobachter gekommen sind“, sagt er. Er streicht dem Kind über den Kopf: „Das, was wir heute wählen, das wählen wir für unsere Kinder. Und die werden dann vielleicht später einmal im Ausland studieren können.“

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