: Überhaupt das schönste Jahr
Sollen Deutschlands Nachwuchs-Basketballer sich am US-College weiterbilden? Bundestrainer Lucic sagt nein, doch der kann viel reden ■ Aus Barcelona Matti Lieske
Mit nichts kann man Vladislav Lucic so erfolgreich aus der Reserve locken wie mit dem Stichwort „College“. Kämpferisch blitzen die Äuglein, ein dankbarer Blick für den spanischen Journalisten, der die genehme Frage gestellt hat, und schon hebt der Basketball-Bundestrainer an zu seiner Lieblingstirade dieser EM-Tage. Der danebensitzende Ademola Okulaja, wie einst Kapitän Henrik Rödl Spieler am Michael-Jordan- College in North Carolina, weiß, was kommt und grinst sich eins.
„Ich glaube nicht“, wettert Lucic, „daß Spanien oder Italien so viele Spieler auf dem College haben wie wir.“ Eine Feststellung, die zwar korrekt ist, aber den Umstand außer acht läßt, daß die besagten Länder vorwiegend Leute zur EM nach Katalonien geschickt haben, die aus dem College-Alter längst raus sind. Bei den Italienern ist nur der 21jährige Denis Marconato aus Treviso jünger als 24, bei den Spaniern Riesen-Center Roberto Duenas, ebenfalls 21, der das Basketballspiel allerdings gerade erst erlernt hat.
Jene Teams, die mehr oder weniger freiwillig ihren jungen Talenten eine Chance geben, haben durchaus ihre College-Leute, Litauen etwa, wo der frühere Coach Garastas einen ähnlichen Kreuzzug gegen die Emigration in die USA führte wie Lucic. Seine These: Wer in die NBA will, soll sich in Europa die nötige Reife und einen Namen erarbeiten, und es dann versuchen, so wie Sabonis, Divac, Danilovic oder Kukoc.
Leuchtendes Beispiel für die andere Fraktion, vor allem in Deutschland, ist natürlich Detlef Schrempf, der über das College in die NBA kam und sich dort mühevoll, aber schließlich erfolgreich etablieren konnte. Inzwischen hat fast jede Basketball-Nation, ob Australien (Longley), Niederlande (Smits), Kanada (Wennington) oder sogar Nigeria (Olajuwon) und Kongo (Mutombo) ihren Schrempf vorzuweisen. Von überall her strömen junge Basketballer in die Colleges, wenn sie es sich leisten können oder der Trip, wie bisher vom Deutschen Basketball-Bund (DBB), gefördert wird.
Es ist nicht nur die Perspektive NBA, die Spieler in die USA treibt, zumal diese nur für äußerst wenige College-Absolventen Realität wird. So mag sich Okulaja als Stammspieler beim legendären Coach Dean Smith in North Carolina Hoffnungen machen, bei einem NBA-Klub in die engere Wahl zu kommen. Die anderen deutschen Nationalspieler wie Patrick Femerling, Jürgen Malbeck, Alexander Kühl oder der schon letztes Jahr in die Bundesliga gewechselte Gerrit Terdenge wissen, daß ihre Zukunft in Europa liegt.
Henning Harnisch, selbst nach neun Tagen „aus persönlichen Gründen“ vom College in die Heimat abgesprungen, hat dennoch Verständnis für den Wunsch der Spieler, trotz des Drängelns von Bundesligaklubs und Bundestrainer so lange wie möglich in den USA zu bleiben, wo die Begeisterung für den College-Basketball riesig ist. Patrick Femerling, der ein weiteres Jahr in Seattle dranhängt, sagte, das letzte Jahr sei sein schönstes überhaupt gewesen, berichtet Harnisch: „Da kann ein Lucic noch soviel reden, dann ist es die Freiheit des Spielers, das zu machen.“ In der Bundesliga könne er noch lange genug spielen. Als Lucic leicht höhnisch verkündet, daß die jungen Leute eben lieber „vor 30.000 Zuschauern spielen, von denen tausend Musik machen,“ wirft Okulaja versonnen lächelnd ein glückliches „Das ist hübsch“ ein.
Abgesehen von den Problemen mit der Freigabe der College-Akteure für Länderspiele, ist das Hauptargument des Bundestrainers die kurze Saison, die oft geringen Spielzeiten und die übliche Spezialisierung der Spieler. Selbst Okulaja, der bei den „Tar Heels“ in North Carolina auf eine erkleckliche Zahl von Spielminuten kommt, habe sich in den USA kein bißchen weiterentwickelt, macht Lucic geltend, im Gegenteil. „Er wird dort nur als Dreipunktschütze eingesetzt, hier bei der EM sieht man, daß er viel mehr kann.“
Ein Argument, dem sich auch Harnisch nicht verschließen kann. Henrik Rödl beispielsweise habe nach seiner Zeit als reiner Rollenspieler bei den „Teerfüßen“ von Dean Smith eine ganze Weile gebraucht, bis er zu seiner Kreativität zurückgefunden habe.
Ein zweischneidiges Schwert sind die Spielzeiten, schließlich muß nicht zuletzt Lucic damit klarkommen, daß etwa sein Nationalspieler Jörg Lütcke bei Alba Berlin „gerade mal fünf Minuten spielt“. Das ist eine Entwicklung, die sich mit der erwarteten völligen Aufhebung der Ausländerbeschränkung verstärken wird. Dennoch gibt es nach Meinung von Harnisch inzwischen „zwei, drei Bundesligavereine, bei denen man eine gute Ausbildung bekommen kann“.
Ob nun das Modell Schrempf oder das Modell Kukoc vorzuziehen ist, darauf weiß auch George Karl, Coach des NBA-Klubs Seattle Super Sonics, keine definitive Anwort. „Es hängt von der Persönlichkeit des Spielers ab“, verriet Karl, der als ehemaliger Trainer von Real Madrid ein guter Kenner des europäischen Basketballs ist, unlängst der taz. „Es gibt kein Rezept“, pflichtet Henning Harnisch dieser These bei.
Der DBB indes hat sich entschieden. „Wir werden niemanden mehr fördern, der nach Amerika geht“, sagt DBB-Präsident Roland Geggus, der hofft, das Fernweh werde sich im Bosman-vereinten Basketball-Europa „von alleine“ geben. Der Verband steckt sein Geld künftig in „U 22-Tryouts“, das sind nationale Sichtungen. Ein später Sieg für Lucic, der die Früchte allerdings nicht mehr genießen kann, weil er sich nach der EM als Bundestrainer verabschiedet. Nach Terdenge kehren nun auch Kühl und Malbeck in die Bundesliga zurück. Bleibt abzuwarten, ob sie dort mehr zum Einsatz kommen, als bei Vladislav Lucic in Spanien.
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