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Die Kinder des Olymp

Blasse Texte blasser Mädchen: Der Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt ist nach der Reform kleiner, aber nicht kurzweiliger geworden. Der Gewinner heißt diesmal Norbert Niemann, weil er wenigstens ein bißchen hassen kann  ■ Von Jörg Magenau

Die größte kulturelle Attraktion Klagenfurts ist Minimundus. Dort findet man, durch Hecken vor unberechtigten Blicken geschützt, touristische Highlights im Zwergenformat: Eiffelturm, Petersdom und Taj-Mahal auf Augenhöhe – sauber, praktisch, überschaubar. Da kann sich Onkel Hans neben dem Atomium fotografieren lassen, und die ganze Familie gruppiert sich um Big Ben. Wozu teure Reisen in eine Welt voller Gefahren unternehmen?

Derselben Motivlage ist auch der patriotische Drang geschuldet, die Lesungen des alljährlichen Bachmann-„Bewerbs“ (so sagt der Österreicher) nicht zu versäumen. Wenn Ende Juni die Dichter kommen und mit ihnen die kleine Welt des Literaturbetriebs, dann sitzen die Klagenfurter Literaturfreunde, ältere Damen in geblümten Kleidern, erwartungsfroh im Studio des ORF. Hinter ihnen füllen imposante Schulklassen den Raum, Mädchen, die gewiß sein können, daß das, was sie erwartet, nicht erschreckender sein wird als die Pferdeposter an den heimischen Zimmerwänden: einträchtig die eitle Jury, handzahm die harmlose Literatur. Ein Minimundus der Texte, eine in sich geschlossene Welt ohne Wille mit leerlaufender Vorstellungskraft. Glaubt man der Klagenfurter Inszenierung, ist der Ort der Literatur sowieso abseits der Welt. Die Studiokulisse stellt einen griechischen Säulengang vor blauem Himmel dar: Wunschbild originärer Schöpferkraft – ein Olymp für Anfänger.

„Wo bleibt das Böse?“ fragte ausgerechnet der verständnisvolle, grundgütige Juror in Onkelgestalt, Iso Camartin. Sogar er war enttäuscht von einer Literatur, die sich mehrheitlich in prätentiösen Verrätselungen, meditativen Traumbildern und belanglosen Etüden erging. Allenfalls eine „Irritation“ ließ sich da positiv vermerken oder eine „Unbehaustheit“. Nicht einmal mit einer Interpretation könne man sich hier heimatlich einrichten, lobte die Oberinterpretöse Iris Radisch einen Traumtext Ulrich Ziegers. Manchmal schien aber auch nur ein „Schließmuskelproblem“ vorzuliegen, wie der gelangweilte Dandy Thomas Hettche gegenüber einer alchimistischen Häschen-Parabel des Suhrkamp- Jungstars Gion Mathias Cavelty treffend bemerkte: „Da ist ein Blatt, und das muß eben vollgemacht werden.“ Wozu haben einem die Eltern schließlich den Atari ins Kinderzimmer gestellt?

Dabei wurde der „Bewerb“ im 21. Jahr seines Bestehens einer Reform unterworfen. Statt 22 Autorinnen und Autoren traten nur noch 16 an. Die Zahl der Juroren wurde von elf auf sieben reduziert, die nun die Texte bereits eine Woche im voraus erhalten und nicht mehr spontan und ungeschützt reagieren müssen. Der vitale Reiz der Veranstaltung, belesene Menschen beim allmählichen Verfertigen von Argumenten zur Erhärtung ihrer Geschmacksurteile zu beobachten, entfällt damit. Ohne den Schutz der Spontaneität, die auch entschiedene Irrtümer erlaubte, wirken die Urteile nun wie in Watte verpackt. Da wackelt nichts mehr. Erstaunlich allerdings, daß es dennoch keine Kontroversen um literarische Konzepte gab, die Jury mehr an ihren Eitelkeiten als an ihren Argumenten feilte. Vermutlich hätte sie auch mit einmonatiger oder mehrjähriger Vorbereitungszeit nicht mehr zu sagen gehabt.

Ein Gewinn war allein die Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen. Kühl, souverän und witzig trug sie kluge Analysen vor, ohne sich damit in den Vordergrund zu drängen. Daß mit Barbara Frischmuth eine Jurorin dazukam, die außer Biedersinn und Ahnungslosigkeit nichts beizusteuern hatte, ließ sich auch nicht übersehen. Und warum nimmt der „Lokalmatador“, Bachmann- Fachmann Amann von der örtlichen Universität, immer wieder teil, obwohl er doch stets wie herbeigeprügelt dasitzt und an seiner Pfeife zieht, als enthielte sie Essiggetränktes? Nur einmal brach es verzweifelt aus ihm heraus: „Wo bleibt der Humor?“

Und erst die Frauen! Die Kollegin von der Wochenzeitung war schlicht entsetzt über die Klischees traditioneller Geschlechterteilung, wie sie sich im Minimundus- Olymp reproduzierten. Nur vier Frauen waren am Start. Sie wurden in der Rubrik „Brigitte-Literatur“ (Gila Lustiger) und, schlimmer noch, im Bastei-Lübbe-Heftchenromanhaften (Elisabeth Reichart) endgelagert; die beiden in ihrer Heimat vielgepriesenen Ephebinnen aus Wien (Bettina Galvagni, Jahrgang 1976) und aus Basel (Zoe Jenny, Jahrgang 1974) erschienen dagegen als leicht anämische, dem Zarten, Seelenvollen und Reinen so sehr zugewandte Rehlein, daß sie durch jeden sanften Windhauch weggeblasen zu werden drohten. Sicherheitshalber wurden sie deshalb mit Auszeichnungen beschwert: 3-Sat-Stipendium (Platz vier, 6.000 Mark) für Jenny, Ernst- Willner-Preis (Platz drei, 100.000 Schilling) für Galvagni. Deren Text beginnt mit der Erkenntnis: „Ich war ein Mädchen, das blasse Texte schrieb“, und so ist es immer noch: eine Prosa im George-Ton, eine somnambule Fin-de-siècle-Literatur voll schwülstelnder Sehnsucht nach keuscher Erotik.

Da war es fast schon eine Wohltat, daß mit Steffen Kopetzky (Preis des Landes Kärnten, 120.000 Schilling) und Norbert Niemann (Bachmann-Preis, 250.000 Schilling) Autoren bepreist wurden, die ein bißchen gesunden Haß aufzubringen in der Lage waren. Vor allem bei Kopetzky entfaltet sich ein sprachlicher Furor im Haß auf „die Anderen“ in ihrer „großen Verschwörung“ gegen das Ich, ein gekonntes Spiel mit philosophischen Versatzstücken. Seine Tirade (die Jury fühlte sich zuverlässig an Thomas Bernhard erinnert) erschöpft sich aber in allzu Bekanntem: Motor des kraftvollen Wutausbruchs ist die gekränkte Dichterseele. Das Text- Ich, wie der Autor 26 Jahre alt, ist beleidigt, weil ein alter Münchner Kulturjournalist ihn jovial als „Jungdichter“ bezeichnet. Das scheint in der Tat das Problem Steffen Kopetzkys zu sein, einem krawattentragenden Jüngling in perfekt sitzendem grauen Anzug, bis in die kurzen Haarstoppeln hinein souverän und von einem gesegneten Selbstbewußtsein. Sein ganzer Habitus zielt darauf, erwachsen, groß und berühmt zu sein. Der paranoide Redefluß seines Textes kann da kaum noch verstören.

Bei Norbert Niemann, einem vor Aufregung und Eifer leicht verschwitzten Menschen mit schwerem bayrischen Akzent, ist der eingesetzte Haß theoretisches Kalkül. Niemann, Musiklehrer und Redakteur der Literaturzeitschrift Konzepte, geht es erklärtermaßen darum, Wirklichkeit in ihrer medialen Überformung zu zeigen. Er will beschreiben, wie internalisierte Klischees und kulturelle Schablonen die Subjekte von innen heraus konstituieren.

Schönlein, vielleicht ein Alter ego des Autors, möchte einen Freund besuchen, trifft aber nur dessen Freundin Lisa an, die ihm auf die Nerven geht. Nun sitzt er unwillig in ihrer Küche und beobachtet sie gnadenlos genau. Lisa, Mitte Zwanzig, steht als Tochter von 68er Eltern, Nazi-Enkelin und wohlbestallte Erbin plakativ als Generationenmodell da: eine Generation ohne Sorgen und Perspektiven – womöglich selbst ein Klischee, das Norbert Niemann unbefragt installiert. Poetische Antriebskraft erhält die Geschichte aus dem gekonnten Wechsel zwischen der Innenperspektive Lisas und Schönleins bösen Blick von außen. Schönlein steigert sich in Gewaltphantasien hinein, will Lisa durch Schläge ins Gesicht zum Verstummen bringen, stellt sich vor, wie ihr das Blut aus der Nase rinnt etc. Er haßt ihre genormte Schönheit, die Erwartbarkeit ihrer Äußerungen, die Überraschungslosigkeit dieses Lebens in der Normalität. Doch am Ende steht er auf und legt der verzweifelt plappernden Frau sanft die Hand auf die Wange: keine Gewalt!

Thomas Hettche meldete grundsätzliche Bedenken an: Die traditionalistische Erzählweise Niemanns sei nicht in der Lage, mediale Subjektivität zu destruieren. Niemann hielt dagegen: avantgardistische Mittel seien ihrerseits verbraucht. Er orientiert sich an Autoren wie Rolf-Dieter Brinkmann, fordert eine Repolitisierung der Literatur und wünscht sich, daß es wieder einmal so etwas wie die Gruppe 47 gibt. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn die Anstrengung, die theoretische Vorgabe umzusetzen, nicht jeder Zeile seines Textes anzumerken wäre.

Daß man dasselbe auch leichthändig erreichen kann, demonstrierte dagegen Thomas Meinecke mit dem wohl innovativsten Text des Wettbewerbs, einer satirischen Milieustudie über lesbisch- feministische Heidelberger Studentinnen. Auch bei Meinecke steht eine junge Frau im Mittelpunkt. Sie arbeitet im theoretischen Fahrwasser von Judith Butler in „Gender-Studies“ und ist bereits so weit vorgedrungen, daß ihr „das Weibliche nicht mehr zu sein scheint als eine Hülle, ein Kostüm, ein paar durchsichtige Strümpfe“.

Mit ihrer Freundin hört sie nordwestamerikanische Frauenpunkrockplatten und erörtert die Frage, ob Luis Trenker lesbisch sein kann. Es geht um protestantische Brustbandagen und katholische Büstenhalter, um eine Promotion über die Vorhaut Jesu und um Courtney Love. Es geht um den freundlichen Wahn, jeden Gegenstand des Lebens daraufhin abzuklopfen, ob er als Indiz zur Bekräftigung der eigenen Weltanschauung taugen könnte.

Was bei Niemann die mediale Herrschaft, ist bei Meinecke die alles umgreifende Theorie. Was dort anarbeitet gegen die Verhältnisse, ist hier lächelndes Einverständnis: ein amüsierter Blick auf das seltsame Treiben der Menschen. Und wo Niemanns Text schwitzt und rackert, setzt Meinecke auf Musikalität. Er, Musiker und Texter der Gruppe F.S.K., sampelt seine Texte. Wie ein DJ am Plattenteller legt er seine Fundstücke auf, ohne deshalb auf narrative Zusammenhänge zu verzichten. Damit bringt er Schwung, Bewegung, Rhythmus ins Geschehen, daß es eine seltene Freude war.

Warum die Jury Niemann auf Platz eins hievte, Meinecke aber leer ausgehen ließ, ist ihr olympisches Geheimnis. Eine Entscheidung für den vorgeblich politischeren Text war es sicher nicht, eher der Hang zum Konventionellen. Im Minimundus kann es nichts wirklich Großes geben. Da dürfen Hecken und Kirchturmspitzen Haupteshöhe nicht überragen.

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