: Hertha in Seenot
Wie eine wasserscheue Kröte auf einem Rasenmäher die Sintflut im Keller überlebte ■ Von Lisa Schönemann
Hertha hätte es beinahe erwischt. Als beim letzten großen Gewitter abends aus dem Gulli im Keller eine braune Brühe sprudelte, bekam die arme Kröte einen Heidenschreck. Mit einem beherzten Sprung rettete sie sich auf die Motorhaube des Rasenmähers und äugte ungläubig in die steigenden Fluten. Käfer und Kellerasseln trieben kieloben an ihrer roten Rettungsinsel vorbei. Nein, Hertha wollte nicht sterben.
Hertha ist zäh. Als wir vor einigen Jahren einzogen, lebte sie zurückgezogen in einem mit vermodertem Laub gefüllten Kellerfenstervorbau. Weder Kältewellen noch stochernde Hosenmätze auf Krötenjagd haben ihr bislang den Garaus machen können. Im Gegenteil: Das lehmfarbene Tier wurde mit der Zeit immer zutraulicher. Kam jemand zum Wäscheaufhängen, unkte sie in ihrer Nische geräuschvoll vor sich hin.
Als ich, angelockt von dem ungewohnten Brodeln und Plätschern, die Kellertreppe herunterkam, sah sie zugegebenermaßen etwas zerknittert aus. Aber das muß bei lichtscheuen Erdkröten nichts heißen. Vielleicht fürchtete Hertha, keine gute Figur zu machen: Exemplare ihrer Gattung können nicht schwimmen.
Die Wassermassen ergossen sich auf meine antiken Turnschuhe und die mit Habseligkeiten aus drei Jahrzehnten gefüllten Kisten. Draußen heulten die Sirenen der Feuerwehr. Drinnen stieg das Wasser. Umständlich zwängte ich meine Füße in die nassen Gummistiefel und watete an den Fahrrädern vorbei zu Hertha, die mich aufmerksam von der Seite betrachtete, aber keinerlei Anstalten machte, auf die bereitgehaltene Schaufel zu springen. Betont langsam sortierte sie ihre grazilen Glieder für eine bequemere Sitzposition auf dem umspülten Rasenmäher.
Unterdessen meldete der Werkzeugkasten Land unter, und die aufsteigende Kloake bahnte sich ihren Weg in die Waschmaschine. Ein aufgeweichter Pappkarton, aus dem bunte Schachteln mit indischen Gewürzen hervorlugten, trieb mit dem Strom in den nächsten Kellerraum. Hertha wollte noch immer nicht auf die Schaufel steigen. Offenbar wartete sie auf einen Frosch, auf dessen Rücken sie triumphierend davonschwimmen könnte. Doch unser gerümpelbeherbergendes Souterrain war bis dato eher ein Eldorado für Spinnen als ein Zierteich.
Ich verabscheue Feuchtbiotope zutiefst. Während die Fluten den Rand meiner Stiefel erreichten, drohte ich Hertha mit dem Schicksal eines Hirschkäfers, der tapfer, aber vergeblich mit den Wassermassen kämpfte. Vielleicht hätte ich anstelle der sturen Unke lieber den Prosecco in Sicherheit bringen sollen.
Endlich hörte es zu regnen auf. Das Wasser verschwand ebenso schnell, wie es gekommen war, gurgelnd durch den Abfluß im Boden. Zurück blieben eine undefinierbare Schlammschicht – und Hertha, die erfolglos versuchte, vom Rasenmäher herunterzuklettern. Handzahm ließ sie sich bereitwillig zu ihrer Lieblingsecke am Kellerfenster bringen. Schon weil sie von der Anhöhe einen besseren Blick auf die einsetzende nächtliche Putzaktion genoß. Irgendwann in den frühen Morgenstunden ist sie zurück in ihren klammen Blätterhaufen gekrochen. Mit nassen Füßen auf der Kellertreppe hockend habe ich überlegt, ob es Hertha wohl im Tierheim gefallen würde. Vielleicht gibt es dort sogar Frösche.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen