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Volk in Technicolor

■ Die birmesische Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi über Politik, Spiritualität und die Macht der Machtlosen

Alan Clements: Was charakterisiert das birmesische Volk, eine Kultur mit über 64 ethnischen Gruppen und 200 verschiedenen Sprachen und Dialekten?

Aung San Suu Kyi: Ich kann nur etwas über die ethnische Mehrheit der Birmanen sagen, zu der ich selber gehöre. Ich habe mich mit den Kulturen der anderen Ethnien nicht genügend beschäftigt – außer, daß meine Mutter mich gelehrt hat, sie als uns sehr nahestehend zu betrachten. Zu den Birmanen fällt einem zuerst ein, daß sie Buddhisten sind. Aber auch, daß nicht jeder Birmane ein guter Buddhist ist. Die Birmanen sind ein sehr farbenfrohes Volk. Ich sehe sie gewissermaßen in Technicolor. Ich glaube, sie lieben nicht nur bunte Kleidung, sondern auch bunte Emotionen.

Viele Westler haben stereotype Vorstellungen von den Ländern Südostasiens, geheimnisvoll und fremd. Für andere sind es Länder, die seit Jahrzehnten in Blut und Schrecken versinken: Kriege in Vietnam und Laos, Pol Pots Genozid in Kambodscha, Ne Wins über 30jähriges Schreckensregime in Birma und natürlich derzeit die Repression des SLORC [siehe Anmerkungen]. Was verbindet Birma mit den westlichen Ländern?

Da ist das koloniale Erbe, das wir nicht leugnen können. Die Mehrzahl der in Birma geltenden Gesetze, auch das Erziehungssystem, wurden vom Kolonialregime eingeführt und beeinflußt. Schulen, Krankenhäuser, Eisenbahnen – all diese kolonialistischen Segnungen kamen durch eine westliche Macht nach Birma. Abgesehen davon sind die Birmanen im großen und ganzen tolerant und stehen kulturellen Einflüssen und Ideen von außen sehr offen gegenüber. Intolerant sind wir nur durch das autoritäre System geworden, das uns aufgezwängt wurde.

In der Regel sind Politik und Religion getrennte Bereiche. Auch viele birmesische Mönche und Nonnen trennen spirituelle und sozialpolitische Freiheit voneinander. Aber „Dharma“ und Politik haben doch eigentlich dieselbe Wurzel: den Gedanken der Freiheit.

Ich glaube, viele Menschen finden es peinlich und unpraktikabel, Spiritualität und Politik als eine Einheit zu denken. Ich trenne das nicht. Demokratische Länder haben immer diesen Drang zur Trennung, aber sie wird eigentlich nicht verlangt. Viele Diktaturen haben dagegen eine offizielle Politik, Religion und Politik auseinanderzuhalten, wohl für den Fall, daß letztere dazu benutzt werden könnte, den Status quo zu bedrohen.

In Birma waren Mönche und Nonnen historisch sehr oft politisch engagiert, vor allem, wenn es das Wohlergehen der Bevölkerung betraf. Meinen Sie, daß die „Sangha“ – die Mönchs- und Nonnenorden – eine größere Rolle in der Unterstützung der Demokratiebewegung spielen könnten? Schließlich geht es auch um ihre Freiheit.

Viele Mönche und Nonnen haben eine sehr mutige Rolle in unserer Bewegung für Demokratie gespielt. Natürlich sollte jeder eine größere Rolle darin übernehmen. Schließlich gibt es in der Demokratie nichts, wogegen ein Buddhist Einwände haben könnte. Ich glaube an einen „engagierten Buddhismus“, um einen modernen Ausdruck zu gebrauchen. Mönche und Nonnen sollten helfen, so gut sie können – indem sie demokratische Prinzipien predigen und dazu ermutigen, sich für Demokratie und Menschenrechte einzusetzen. Und indem sie versuchen, die Mächtigen davon zu überzeugen, den Dialog zu beginnen. Schließlich war das Buddhas Weg.

Präsident Mandela schreibt in seiner Autobiographie, daß 1961 „die Zeit des gewaltlosen Kampfes vorbei war...“ Er zitiert eine alte afrikanische Weisheit: „Der Angriff eines wilden Tieres kann nicht mit nackten Händen abgewehrt werden.“ Doch im ANC argumentierten viele, Gewaltlosigkeit sei ein unveräußerliches Prinzip und keine Taktik, die man einfach aufgibt, wenn sie nicht mehr funktioniert. Darauf antwortet Mandela: „(Ich) war genau vom Gegenteil überzeugt... Es wäre falsch und unmoralisch gewesen, unser Volk den bewaffneten Angriffen des Staates auszusetzen, ohne ihm eine Alternative anzubieten.“ Wie sehen Sie das?

Militärputsche, die es in Birma genügend gegeben hat, sind ein gewaltsamer Weg, die Situation zu verändern, und ich will diese Tradition gewaltsamer Veränderung weder fortführen noch andere dazu ermuntern. Die Methode selbst bliebe eine ständige Bedrohung. Der harte Kern derer, die schon immer gegen die Demokratiebewegung waren, würde sagen: „Sie haben das System gewaltsam verändert; wir müssen also nur unsere eigenen Gewaltmittel finden, die den ihren überlegen sind, dann kommen wir wieder an die Macht.“ So kommen wir aus diesem Teufelskreis nie heraus.

Für mich ist Gewaltlosigkeit sowohl politische Taktik als auch ein spiritueller Glaube, daß Gewalt nicht der richtige Weg ist. Wir haben immer gesagt, daß wir uns von den Studenten und anderen, die gewaltsame Methoden anwenden, nicht distanzieren werden. Auch sie wollen Demokratie. Wir behaupten nicht, das Monopol auf die richtige Methode zu haben. Und wir können nicht versprechen: „Folgt uns auf unserem Weg der Gewaltlosigkeit, und ihr seid geschützt.“ Oder daß wir unser Ziel ohne Opfer erreichen. Wir haben die Gewaltlosigkeit gewählt, weil wir glauben, daß es für das Land auf längere Sicht politisch besser ist, und um zu zeigen, daß man Veränderungen ohne Waffen herbeiführen kann. Das war von Anfang an die Politik der NLD.

Der Vorsitzende der SLORC, General Than Shwe, nahm an der Konferenz der Asean-Länder in Bangkok teil. Solche Konferenzen vernachlässigen oft die Rolle der Menschenrechte zugunsten ökonomischer Interessen – was natürlich Eigeninteressen sind. Man denke nur an die amerikanische Regierungspolitik gegenüber China. Was halten Sie vom Bedürfnis führender Politiker, Geld und Profit von den Menschen und menschlichen Werten zu trennen?

Das ist eine total künstliche Trennung.

Warum insistieren so viele führende Politiker auf diese „künstliche“ Trennung als Prinzip einer starken, nationalen Politik?

Weil bestimmte, nicht vollständig demokratische Systeme große wirtschaftliche Erfolge haben. Das hat dazu geführt, wirtschaftlichen Erfolg als völlig unabhängig von politischen Freiheiten zu denken. Aber ich glaube, daß wirtschaftlicher Erfolg andere Gründe hat. Nehmen wir Singapur: Zum einen haben sie eine unbestechliche Regierung. Nicht gerade demokratisch in unserem Verständnis, aber korrupt ist sie nicht. Zweitens hat man in Singapur großen Wert auf Bildung und Erziehung gelegt und alles getan, um das Niveau zu heben. Ich bin der Meinung, daß Singapurs wirtschaftlicher Erfolg mit dem dort herrschenden Mangel an Demokratie nichts zu tun hat.

Manche meinen, Investitionen in Birma seien gut, weil sie eine Mittelklasse schaffen – der beste Weg, Demokratie zu erreichen.

Die Investitionen der letzten sieben Jahre in Birma [seit Beginn der SLORC-Regierung] haben absolut keine stärkere Mittelklasse hervorgebracht. Es gibt eine Handvoll Leute, die sehr reich geworden sind, und die Masse der extrem Armen wächst immer weiter an. Die Mehrzahl der Beamten, die unter normalen Umständen ein Teil dieser Mittelklasse wären, kämpfen ums Überleben. Ihre Gehälter sind im Verhältnis zu den Lebenshaltungskosten derart niedrig, daß sie nur die Wahl haben zwischen Hunger und Korruption.

Wir haben einmal darüber gesprochen, wie Unsicherheit zum psychologischen Fundament eines autoritären Regimes wird – ein mangelndes Gefühl für die eigene Würde, den eigenen Wert, was zur Mißachtung anderer führt. Ist es nicht auch möglich, in der eigenen Verwundbarkeit eine Stärke zu finden? Worin hat wahre Macht ihren Ursprung?

Die „Macht der Machtlosen“ hat Václav Havel das genannt. Ich denke, daß Macht von innen kommt. Wer weiß, was er tut und warum und daß es richtig ist: das ist Macht. Und diese Macht ist sehr wichtig, wenn man etwas erreichen will. Wer nicht an das glaubt, was er tut, dem fehlt bei all seinen Handlungen die notwendige Glaubwürdigkeit. Man kann machen, was man will, man wird sich am Ende doch in Widersprüche verwickeln.

Sie schätzen Václav Havel sehr. Inwiefern hat er Sie beeinflußt?

Ich habe natürlich seine Bücher gelesen und durch ihn mehr über die Situation in der Tschechoslowakei erfahren. Was mich am meisten beeindruckt hat, war die intellektuelle Ehrlichkeit, an der viele der besten Leute festhielten. Sie arbeiteten lieber als Klempner, Straßenfeger oder Maurer, als ihre intellektuelle Integrität durch irgendeinen Universitäts- oder gar Regierungsjob zu kompromitieren. Sie akzeptierten die Überlegenheit des Geistes über den Körper und legten mehr Wert auf ihre intellektuelle Integrität als auf materielle Bequemlichkeit. Das hat mich sehr inspiriert, und ich denke, daß es ein wunderbares Beispiel dafür ist, was man erreichen kann, wenn man seine spirituelle und intellektuelle Integrität bewahrt.

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