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Gemeinschaft durch Infantilisieren

■ Der abwesende Pirschkünstler Carlos Castaneda lud zum Workshop nach Berlin

Berlin ist esoterisch: Am Dienstag in der Volksbühne gab es den sechsten Elfenkongreß; am Mittwoch stand traurig verstört ein Althippie auf dem Ku'damm und griff nach unsichtbaren Dingen. Am Freitag dann ging's in die andere Wirklichkeit, das heißt zum dreitägigen „Carlos Castaneda Tensegrity“-Workshop in die obermoderne Max-Schmeling-Halle.

Vor dreißig Jahren hatte Castaneda in seinem Bestseller „Die Lehren des Don Juan“ von seiner Initiation bei dem mexikanischen Yaqui-Schamanen Don Juan Matus und vielerlei Erlebnissen in der „anderen Wirklichkeit“ berichtet. Seine mittlerweile neun Bücher, in denen es um solche Dinge wie Methoden des Wachträumens und „die Kunst des Pirschens“ ging, prägten eine ganze Generation psychedelisch gesinnter Hippies und anderer Sinnsucher.

Seit einigen Jahren nun bemüht sich Castaneda mit Schülern und der Firma Clearscreen, schamanistisches Wissen unter dem griffigen Namen „Tensegrity“ unter die Leute zu bringen. Kein schlechtes Geschäft. 980 Mark bezahlten die rund 1.000 interessierten Schüler für die Teilnahme an dem Workshop, für dessen Organisation die in einer französischen Esokommune ansässige Firma CLAIR eigens gegründet wurde.

Man habe sich eben im „Spitzensegment“ üblicher Workshop- Preise positionieren wollen, erklärt Mitveranstalter Gogo Boehm, und daß die Aufmerksamkeit mit dem Preis, den man zahlt, steigen würde und man viele ja auch für weniger reingelassen hätte. So weit, so gut; erst mal noch paar Zigaretten rauchen. Das internationale Publikum war recht gemischt: Ränder der Technoszene, Castaneda-Fans der ersten Generation, vor allem aber ein eher schüchtern wirkender, nikotinsüchtiger Alternativdurchschnitt zwischen 20 und Mitte 40. Juliane Werding war auch dabei. Die Helfer trugen orangene T-Shirts und hatten dafür nur 200 Mark zahlen müssen und kontrollierten einen am Eingang, als sei's ein Flughafen oder etwas anderes Hochsicherheitsartiges. Fotografieren oder tontechnische Aufzeichnungen aller Art waren strengstens verboten.

Energetisch tänzelte die „Hexe“ Florinda Donnergrau auf dem Podest und sagte mit heller Stimme: „Ich bin Florinda Donnergrau.“ Das tat sie immer am Anfang ihrer Vorträge. Um eine „Brücke“ zwischen dem stets verantwortlichen Ich und der Unendlichkeit zu bauen. Die kleine, deutschstämmige Venezuelanerin erzählte, „der alte Nagual“ hätte sich mit seinen Schamanenkollegen Mitte der achtziger Jahre „in reine Energie“ aufgelöst. Aus energetischen Gründen konnte „der junge Nagual“ – Castaneda – leider auch nicht kommen. Ohne Murren nahm man's hin.

Vor Tausenden von Jahren hätten „die alten Schamanen Mexikos“ die magischen Bewegungen in ihren Träumen entdeckt. Sie dienen dazu, den Zustand der „inneren Stille“ zu erreichen, verkrustete Energien zu befreien oder auch durch andere Wirklichkeiten zu „navigieren“. Da gibt es dann überall Energieströme, „luminöse Eier“ und derlei Dinge. Verstehend gab sich gern der Beifall bei eingestreuten Scherzen. Lustig verfiel die andere Hexe – Taisha Abelar – zuweilen ins Bayrische. Gemeinschaft stellt sich übers gemeinsame Infantilisieren her.

Ideologisch ähnelt Tensegrity anderen modernen esoterischen Systemen: Man verabschiedet sich von Ritualen und Initiationsriten, betont die Alltagskompatibilität und fordert die Adepten auf, sich von der eigenen Geschichte und dem zergliedernden Denken zu verabschieden, weil die „Syntax der Sprache“ – ganz nietzscheanisch – unsere eingeschränkte Interpretation der Wirklichkeit bestimmt. Ein bißchen Existentialismus war auch dabei.

In der schamanistischen Grundposition sind die Beine locker angewinkelt, die Füße zeigen leicht nach innen, der Oberkörper neigt sich ein bißchen nach vorn. So stell' ich mich seitdem beim Pissen hin. Männliche und weibliche Praktiker (die „Elemente“ resp. die „Energy Trackers“) standen auf Podesten und machten „magische Bewegungen“ vor, bei denen es darum ging, „den Körper einzuschalten“, „Energie vom unteren und oberen Teil der luminösen Kugel aufzuwühlen und zu ergreifen“ oder auch „Energie auf die Eierstöcke zu klatschen“. Sie wirkten dabei ganz besonders energetisch, wobei die Frauen einen ausgeprägten Zug zum Androgynen hatten. Die Haare waren kurz, denn da ist ja die persönliche Geschichte gespeichert, von der man loskommen will. Ein junger Mann aus Potsdam trug ein „Legalize Cannabis“-T-Shirt und sagte, daß er nicht mehr kiffen würde, weil das zu unkontrolliert grauenhaften inneren Dialogen geführt habe. Er sei aus reiner Verzweiflung zum Workshop gekommen. Das ginge sicher vielen so. Ein anderer war mal als Kind durch den Kindergarten geflogen. Ein anderer trug ein T-Shirt mit der Parole: „Self-Importance kills“. Dennis aus Frankfurt übernachtete bei Hausbesetzern und wollte später noch Jungle tanzen gehen.

Nach drei Tagen magischer Bewegungen, die manchmal an Tai Chi erinnerten und zuweilen auch in leichte Trancezustände führten, fühlt man sich natürlich ganz prima. Oder anders gesagt: irgendwie energetisch. Am Ende gab es noch eine seltsame Pressekonferenz, auf der die durchaus charismatische Hexe Florinda Donnergrau erklärte, daß es ihr Ziel sei, zusammen mit ihrer „Einheit“ zu verschwinden. Das sei ganz wörtlich zu verstehen. Jemand erzählte von seinen persönlichen schamanistischen Erlebnissen, die ihn anderthalb Jahre in die Psychiatrie gebracht hätten; jemand bat um Rat für einen abwesenden Freund, der sich bei einer Traumreise Blutkrebs geholt habe. Ein eher unauffällig wirkender Journalist Mitte 40 bestand sehr energisch darauf, daß Castaneda seit Jahren in Deutschland „Einheiten“ ausbilden würde, und wollte wissen, warum das geheimgehalten werde. Detlef Kuhlbrodt

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