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Durch eine Verschiebung der Betonung

■ Rätsel im Sand des Hackeschen Hof-Theaters: Bei der Performance „Porträts einer Hyänenlandschaft“ von Lippold und Schoora werden Bewegungen zu Bildern

Am Ende versteht man sogar die geflüsterten Worte. „Was ist der Tod?“ fragt die Frau. „Vergessen“, antwortet der Mann. „Ich denke an eine Schale“, fährt er fort, und beide krümmen die Hände, „die geht erst so und dann so“, spinnt sie den Faden weiter. Ihr Arm, der dabei anfangs ein Kind zu wiegen schien, saust bald so scharf durch die Luft, daß man an die Sense des alten Schnitters Tod denken kann. So umfaßt eine Geste durch eine Verschiebung der Betonung und die Steigerung des Tempos Leben und Tod.

So übersetzbar wie der Schluß sind die Bewegungsbilder von Sabine Lippold und dem belgischen Mimen Yurgen Schoora in der 70-Minuten-Performance „Porträts einer Hyänenlandschaft“ selten. Das Programmheft verrät zwar, daß aus dem antiken Medea- Stoff abgeleitete Schlüsselbegriffe als Material dienten; wiederzuerkennen aber sind sie kaum, da sie, in Bewegungen übersetzt, eine eigene Dynamik entfaltet haben. Herausgekommen ist ein abstraktes und konzentriertes Muster von Abläufen, Wiederholungen, Umwandlungen, die kaum noch etwas mit dem Erzählen einer Geschichte zu tun haben.

Innere und äußere Regungen werden vielmehr isoliert vorgezeigt und ausprobiert, als ob dadurch die Erinnerung an ihre verlorene Bedeutung wiederkehren könnte. Doch da jedes Auffalten der Arme, jede Verlagerung des Gewichts von der nächsten Formveränderung klar abgegrenzt ist, fühlt man sich ständig an etwas wie das Flaggenalphabet erinnert und sucht vergeblich nach einem Code. Das frustriert und verhindert, sich dem verfremdeten Zeitmaß und der schönen Raumschrift einfach überlassen zu können.

Also klammert sich die Aufmerksamkeit an die wiedererkennbaren Situationen, wenn Lippold und Schoora zum Beispiel die vergebliche Suche nach Nähe in anrührender Weise umschreiben. Berührungen, die nicht ankommen; Hände, die nichts halten; Schultern, die zurückweichen: Die Körper scheinen von einer hauchdünnen Eisschicht umgeben, die sie immer wieder aus den versuchten Umarmungen weggleiten läßt.

Parallel zu dem gescheiterten Paartanz wiederholt sich eine Sequenz über das Bügeln eines Taschentuchs, und in das Glätten der Ecken und Kanten scheint sich die jetzt in Wut verwandelte Energie zu gießen, die mit ihrer Sehnsucht nicht ans Ziel kam. In der Arbeit mit diesen alltäglichen Verrücktheiten liegt die Stärke des Stücks, das ohne die Transformation durch den Medea-Stoff vielleicht dichter und einfacher geworden wäre. Katrin Bettina Müller

Weitere Aufführungen von „Porträt einer Hyänenlandschaft“ bis 5. Juli, jeweils 21 Uhr, Hackesches Hof-Theater, Rosenthaler Str.40

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