Kohls Politik schafft mehr Arbeitslose

Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: Die Regierung verliert wertvolle Jahre im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Die Wissenschaftler rügen falsche Geld- und Finanzpolitik  ■ Aus Berlin Reiner Metzger

„Ich weiß nicht, welche Alarmsignale die Bundesregierung noch braucht, um zu sehen, daß es so nicht weitergeht“, wundert sich Heiner Flassbeck, Leiter der Abteilung Konjunktur des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Flassbeck und und seine Experten beim DIW übten gestern ihre bislang heftigste Kritik an der Wirtschafts- und Finanzpolitik von Kanzler Helmut Kohl und den CSU-Oberen Theo Waigel und Edmund Stoiber.

Die Grundsatzkritik beginnt bei der aktuellen Diskussion um den Euro. Die laufe in die völlig falsche Richtung, so Flassbeck. „Warum die Stabilität des Euro bei 3,2 oder 3,3 Prozent Staatsdefizit gefährdet sein soll, bei 3,0 aber nicht“, ist für die Berliner Konjunkturforscher nicht mehr nachvollziehbar. Durch die absurde Verknüpfung der einheitlichen europäischen Währung mit dieser im Maastricht-Vertrag auch gar nicht festgelegten Zahl würden die Fehler der deutschen Geld- und Finanzpolitik konsequent verdrängt.

Um die Schwachstelle im Denken von Bundesregierung und Bundesbank deutlich zu machen, betrachtet das DIW die Länder, die derzeit ökonomisch gut dastehen – allen voran die USA. Dort ist das Wirtschaftswachstum hoch und die Arbeitslosigkeit so niedrig wie seit 25 Jahren nicht mehr. Und nach den Katastrophendefiziten der Reagan-Jahre spricht die US- Regierung nun sogar von einem ausgeglichenen Haushalt im Jahr 2000.

Die Gründe für die positive Entwicklung nach Einschätzung des DIW: Wenn in den USA eine Krise kommt, läßt die Regierung ihre Ausgaben weiterlaufen, das Haushaltsdefizit steigt. Das aber nimmt die US-Regierung in Kauf, um nur schnell wieder von der teuren Arbeitslosigkeit mit ihren Steuerausfällen herunterzukommen.

Die deutsche Regierung hingegen setzte sich unter einen strikten Sparzwang, so daß die fehlenden öffentlichen Aufträge eine schon schwächelnde Konjunktur zusätzlich abwürgen. Gleichzeitig wurden im Inland in den letzten Jahren die Löhne nur sehr wenig angehoben, was die Kaufkraft der Konsumenten drosselte.

Bisher haben das die Deutschen zum Teil aufgefangen, indem sie weniger aufs Sparkonto legen, die Sparquote ist von 13,5 Prozent im Jahr 1991 auf 11 Prozent in diesem Jahr zurückgegangen. „Hier ist aber die Schmerzgrenze erreicht“, so Heiner Flassbeck. Mehr Reserven werden die Leute nicht mobilisieren. Der private Verbrauch steigt in diesem Jahr nach Berechnungen des DIW daher nur um ein halbes Prozent.

Die paradoxe Folge: Trotz eines Exportbooms, steigender Gewinne der deutschen Unternehmen und relativ zu anderen Ländern sinkender Löhne hängt die deutsche Wirtschaft in der längsten Stagnationsphase seit dem Zweiten Weltkrieg fest.

Einen weiteren Buhmann neben der Bonner Regierung sehen die Konjunkturforscher in der Bundesbank: „Die sagt uns ständig, die Zinsen sind auf einem historischen Tief“, so Flassbeck. Doch der eigentliche Maßstab für die Zinsen dürfe nicht die absolute Höhe sein. „Letztlich muß alles aus dem Wirtschaftswachstum bezahlt werden“, so die durchaus konservative Argumentation von Konjunkturforscher Flassbeck. Der Realzins – also Zinsen minus Inflation – muß daher ein ganzes Stück niedriger sein als das Wachstum, damit sich der Besitz von Produktionsmitteln lohnt. „Sonst wird umverteilt zu den Kapitalanlegern“, meint Flassbeck.

In Deutschland ist der Realzins aber seit 1992 sogar höher als das Wachstum. „Trotzdem will die Bundesbank die Zinsen nicht senken. So verlieren wir Jahr um Jahr bei der Reduzierung der Zahl der Arbeitslosen“, schimpft Flassbeck.

Nun wäre die Arbeitslosigkeit auch nach Flassbecks Meinung nicht gleich halbiert, wenn Regierung und Bundesbank auf eine Politik der Nachfrage- und Investitionsförderung umschwenken würden. Ein Blick in die Statistik zeigt: Selbst in den Jahren, als die Konjunktur brummte, sank die Zahl der Arbeitslosen nur um etwa 200.000 pro Jahr. Doch mit der derzeitigen Politik prognostiziert das DIW einen weiteren Anstieg der Stellenlosen um 300.000 in diesem Jahr und sogar um 400.000 Menschen 1998.