Sind Sie glücklich?: „Die Welt ist nicht besser geworden
■ 11 Uhr Wittenbergplatz. Wladimir P. hatte seine schönste Zeit vor dem Krieg. „Glücklich macht mich, daß ich es einigermaßen geschafft habe im Leben.“
Bei der Frage kommen die meisten Menschen ins Grübeln: „Sind Sie glücklich?“ will die taz wissen und hört sich fortan täglich um 11 Uhr abwechselnd auf dem Alexanderplatz und dem Wittenbergplatz um. Gestern war der Wittenbergplatz dran. Heute stehen wir auf dem Alexanderplatz. Das Ergebnis lesen Sie am jeweils folgenden Tag an dieser Stelle.
Der 74jährige Rentner Wladimir P.: Glücklich? Ich bin zufrieden. An erster Stelle steht für mich Gesundheit und finanzielle Absicherung als Rentner. Meine Familie ist gesund, also, ich kann nicht klagen. Für das familiäre Glück ist die Harmonie wichtig. Sehr viel trägt dazu angeborene Toleranz bei. Man könnte im Alter mehr Freunde gebrauchen. Aber das ist schwierig, denn viele sind nicht mehr da. Man muß sich jeden Tag darauf gefaßt machen, daß man irgendwann... Aber ich kann nicht klagen. Die glücklichste Zeit meines Leben liegt fünfzig Jahre zurück. Da war ich zu Hause bei meinen Eltern in der Tschechei. Was mich heute glücklich machen kann, ist schwer zu sagen. Auf jeden Fall macht gutes Essen Spaß. Aber ausgesprochen glücklich machen? Das ist eine blöde Frage. Vielleicht wenn ich zurückdenke, daß ich es beruflich einigermaßen geschafft habe. Aus dem Nichts habe ich es geschafft, jetzt abgesichert zu sein. Ich habe als Pharmaberater gearbeitet. Vielleicht sollte ich noch mal heiraten (lacht)? Nein, das lasse ich wohl.
Mit Sicherheit ist es heute schwerer, glücklich zu sein. Die Leute sind viel anspruchsvoller und egoistischer geworden. Wenn ich an den Krieg zurückdenke, ich habe leider im Lager arbeiten müssen, da war die Hilfsbereitschaft viel größer. Im Moment ist es wie in dem Buch „Jeder stirbt für sich allein“. Das merkt man in der Hausgemeinschaft genauso wie im allgemeinen Leben. Die Welt ist nicht besser geworden. Barbara Bollwahn
wird fortgesetzt
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