„Ei, Ei, Mai, Mai“

Ein Live-Album, ein Konzertfilm von Jim Jarmusch und zahllose Bootlegs: Neil Young bleibt der Dauerbrenner vom Dienst. Dabei mag er den Kult um sich gar nicht: „Die Sache dient doch nur dazu, den Mythos aufrechtzuerhalten“  ■ Von Marcel Anders

Die Legende geht so: Neil Young ist ein unverbesserlicher Individualist, jemand, der seine ureigenen Visionen auslebt und sich von nichts und niemandem aus der Bahn werfen läßt. Seit er in den späten Sechzigern von Toronto an die amerikanische Westküste übersiedelte, um Gitarrist bei Buffalo Springfield und später Crosby, Stills, Nash & Young zu werden, verkörpert er den Prototypen des lonesome Cowboy, des Einzelgängers und Dauerbrenners.

Und ähnelt der leibhaftige Neil seinem Image nicht stark? Mit Cowboyhut, aufgekrempeltem Holzfällerhemd und abgewetzten Jeans thront der Familienvater und Hobbyfarmer auf einem rustikalen Holzstuhl im legendären Mountain House. Das Ausflugslokal in den Bergen von San Francisco, eine knappe Autostunde vor den Toren der Stadt, verwandelt sich für zwei Tage in ein modernes Babylon. Zur Präsentation des neuen Live-Albums „Year Of The Horse“ reisen Journalisten aus allen Ländern der westlichen Hemisphäre an, um einen Hauch vom Glanz dieses Mannes zu erhaschen, der nichts mehr haßt als das Analysieren seiner Kunst. „Es ist nicht so, daß ich etwas gegen die Medien hätte, aber ich hasse es nun mal, mich selbst darstellen zu müssen. Das gehört nun wirklich nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Und weißt du, warum? Weil es total unwichtig ist. Das einzige, was für mich zählt, ist Musik zu machen, im Studio zu arbeiten oder eine Bühne zu betreten. Und das ist mir momentan viel wichtiger als alles andere auf dieser Welt.“

Der Mythos als Selbstläufer: Obwohl er kaum Interviews gibt und eher den nostalgischen Hippie als den trendsettenden Superstar verkörpert, ist Neil Young mit seinen 51 Jahren populärer denn je – und das bei allen, den alten wie den jüngeren. In den frühen Siebzigern spielte er sich mit seinem ersten und einzigen Hit „Heart Of Gold“ in die Herzen der ausklingenden Hippie-Bewegung. Sieben Jahre später sympathisierte er mit Punk und huldigte Johnny Rotten mit „Hey Hey, My My“. Anfang der Achtziger leitete Young schließlich seine experimentelle Phase ein. Er laborierte mit elektronischen Sounds, mit Rockabilly, Country & Western und stieß damit nicht nur eingefleischte Fans, sondern auch sein damaliges Label, Geffen, vor den Kopf, das ihn wegen seiner unkommerziellen Veröffentlichungspolitik auf Schadenersatz verklagte.

Ende der Achtziger hatte er seine Selbstfindungsphase abgeschlossen, lief zu alter Stärke und neuer Massenwirksamkeit auf. Das 89er Epos „Freedom“ mit dem hymnischen, vielgecoverten „Rockin' In The Free World“ leitete das Comeback ein, das seit acht Jahren anhält – Grunge hin, Alternative und Ambient her. „Musik zu machen, heißt schwimmen zu können. Du mußt in der Lage sein, das ständige Auf und Ab als Kontinuum zu erkennen und dich nie von deinem Weg abbringen lassen. Momentan reite ich zwar auf einer Erfolgswelle, aber der Wendepunkt steht unmittelbar bevor. Genau wie 1982, als ich mit elektronischer Musik experimentierte und gnadenlos ausgebuht wurde. Mal sehen, was diesmal passiert.“

Auch den Spitznamen „Don Grungie“, den man ihm verpaßt hat, findet Young so gesehen nicht sonderlich lustig, und seit Jahren weigert er sich standhaft, am Lollapalooza-Festival teilzunehmen. „Sie nennen uns die Großväter des Grunge, dabei machen wir diese Musik schon seit den Sechzigern. Kannst du mir erklären, warum sie uns nicht schon damals mit diesem Etikett versehen haben, sondern erst vor ein paar Jahren? Scheiße, da spielen wir dieses Zeug seit Jahr und Tag und wußten lange gar nicht, wie es eigentlich heißt.“

Ein Fall für das Buch der Rekorde

Trotz aller Gegenreden hat der Fanatismus seiner Gefolgschaft groteske Züge angenommen. Die Fans reisen nach Deadhead-Vorbild von Gig zu Gig, das Geschäft mit Bootlegs, Fanzines und Devotionalien boomt. Sammlerstücke wie ein Sampler mit katalonischen Künstlern, die sich an „Ei, Ei, Mai Mai“, „Resistent En El Món Iliure“ („Rockin' In A Free World“) oder „Dies de l'Ahir“ („The Days That Used To Be“) versuchen und auf Namen wie Els Pets, Lax 'n' Busto und Soopa de Cabra hören, werden für astronomische Summen gehandelt. Der kanadische Lokalsender MIX 99.9 FM veranstaltete im letzten Oktober gar ein Neilapalooza vor der City Hall in Downtown Toronto. Dabei konnte jeder Hobbygitarrist am ersten und einzigen „Heart Of Gold“- Mega-Jam für das Guiness-Buch der Weltrekorde teilnehmen. Der strömende Regen verhinderte den Eintrag.

Young lächelt geschmeichelt, aber befremdet. Er selbst, der Bison-Büffel züchtet, Eisenbahnen, Oldtimer und Modellflugzeuge sammelt, läßt sich bei der Vergangenheitsbewältigung alle Zeit der Welt. Vinyl-Editionen, CD-Re-Issues, eine Anthology – alles unwichtiger Schnickschnack, so betont er immer wieder. Das gilt vor allem für ein sagenumwobenes 20-CD-Box-Set namens „Selections From The Neil Young Archives Volume 1“ mit nicht weniger als 78 unveröffentlichten Tracks, die angeblich im HDCD-Verfahren überarbeitet werden. Neil verzieht die grauen Bartstoppeln zu einem Grinsen. „Es ist immer gut, so etwas in petto zu haben, weil man eben ständig darüber reden kann, ohne auch nur einen Handschlag dafür zu tun. Diese Sache dient doch nur dazu, den Mythos aufrechtzuerhalten. Wenn wir es denn tatsächlich mal veröffentlichen, dann ist er nämlich ruiniert. Von daher wird es wohl niemals passieren. Schließlich könnte es der selbstzerstörerischste Schritt in meiner Karriere sein. Das kannst du mir glauben.“

Mit Crazy Horse hat Young solche Probleme nie gehabt. Die Band und ihr ergrauter Leitwolf haben ihr ureigenes Glück in der Musik gefunden – genauer gesagt im konspirativen Jammen, im gruppendynamischen Workout. Natürlich rauchen die vier gerne und oft Marihuana, heißt es, aber das ist nur ein kleiner Spaß unter alten Freunden, die mit ihrem Ding stolze 50 Jahre alt geworden sind – und noch viel älter werden wollen. Steinalt. „Musik behandelt die Liebe, sie ist wie eine universelle Sprache. Es geht darum, Leute zusammenzubringen und ihnen ein Glücksgefühl zu vermitteln“, versucht sich Bassist Billy Talbot an einer philosophischen Erklärung. „Dabei wirkt sie als kommunikatives Medium, das nicht mit Worten, sondern mit Akkorden arbeitet. Und allein deshalb läßt sie sich verbal nicht fassen. Belassen wir es also dabei. Ich meine, wir kennen uns jetzt schon seit 30 Jahren und haben nie etwas anderes gemacht, als gemeinsam zu spielen.“

Mythos, Magie, Männerfreundschaft

Wenn Ralph Molina, Billy Talbot, Frank „Poncho“ Sampedro und Neil Young live auftreten, dann geht es wohl doch um, tja ... die magischen Momente wahrer Männerfreundschaft. Genau die sind es auch, die Jim Jarmusch für „Year Of The Horse“, ein Paket aus Film und Album, festgehalten hat: spirituelle Jam-Sessions, endlose Gigs und das kollektive Erreichen der berühmten Meta-Ebene.

Dabei ist das 140-Minuten- Werk weder klassischer Konzertstreifen noch Dokumentation, eher eine Mischform aus Live-Sequenzen, Backstage-Impressionen, Interviews und Archivmaterial. „Es ist unmöglich, das Phänomen Crazy Horse zu analysieren, das war auch gar nicht meine Absicht. Ich wollte einen Rock'n'Roll- Film machen – genau wie Bob Dylans ,Don't Look Back‘ oder Robert Franks ,Cocksucker Blues‘ über die 72er-Tournee der Rolling Stones“, so Jarmusch.

Zu ihm hegt Young inzwischen eine ähnlich intensive Beziehung wie zu seinen langjährigen Mitstreitern von Crazy Horse. „Wir sind wie ein Bauunternehmen, das seit 40 Jahren mit denselben drei Typen und demselben Vorarbeiter Häuser errichtet. Und das ist allein deshalb eine ungewöhnliche Situation, weil sich die Beteiligten inzwischen so gut kennen, daß sie das Ganze fast intuitiv errichten. Ist das nicht cool?“

Hätte sich Neil Ende Mai beim Halbieren eines Schinkensandwichs nicht übel in den Finger geschnitten, befänden sich die vier in diesen Tagen auf einer kurzen Deutschlandtournee. So bleibt es vorerst beim Event im heimischen CD-Player oder nächsten Programmkino. Doch Neil wäre nicht Young, hätte dieser Fauxpas irgendwelche Auswirkungen auf seinen prallen Terminplan. Der verkündet die baldige Arbeit an einem neuen Studioalbum, die Produktion der kommenden Crazy- Horse-CD und rund 30 Gigs als Headliner der amerikanischen Horse-Festivals. Mit dem Rosten wird es also wieder nichts.

Neil Young: „Year Of The Horse“ (Reprise; Wea)