piwik no script img

Er war beliebt nicht nur, weil er in seinen Filmen meist den „good guy“ spielte, sondern weil er zeitlebens an der calvinistischen Arbeitsethik und der Solidarität aus seinen Kindertagen festgehalten hat: James Stewart starb 89jährig. Von Mariam Niroumand

Der Mann, der James Stewart spielte

Für unsereinen gab er auf den ersten Blick nicht viel her, der brave Jimmy, der 1976 begeistert Wahlkampf für Ronald Reagan machte. Im taz-Archiv findet sich wenig über James Stewart, ganz anders als über den tags zuvor verstorbenen Robert Mitchum. Ein Mann ohne Hüfte, staatstreu, ehrpusselig und kleinstadt-amerikanisch bis in die früh ergrauten Haarspitzen – das war unsexy und hatte keine transatlantische Starpower.

Was hatten die Amerikaner bloß an ihm? „Bei Jimmy ging es um mehr als Schauspiel, um mehr als Kino. Es ging um etwas, was das Innerste unseres Wesens betrifft“, schrieb die Washington Post in ihrem bewegten Nachruf. „Ein wundervolles Leben endet“, resümierte USA Today, und sie sind sich einig, daß kein anderer Schauspieler so von „groß und klein“ geliebt wurde wie er – was bei Mitchum keiner geschrieben hat.

Seine Chancen standen, anders als bei Bad Boy Bobby, eigentlich ganz gut. Er kam aus einer musikbegeisterten Presbyterianerfamilie in einem Ort namens Indiana, Pennsylvania, wo der Vater vom Großvater die Eisenwarenhandlung geerbt hatte. Max Weber hätte seine Freude an der Hartnäckigkeit gehabt, mit der Stewart zeitlebens an beidem, der calvinistischen Arbeitsethik und der protestantischen Gemeindebezogenheit und Solidarität aus seinen Kindertagen, festgehalten hat. „Hollywood gibt zuviel für zuwenig. Das kann einem Burschen ziemlich den Kopf verdrehen, aber das werde ich für mich nicht zulassen“, kommentierte er seinen Oscar für die Rolle des Reporters Mike Connor in einer der besten und hintergründigsten Screwball-Comedys: „Die Nacht vor der Hochzeit“ (1940). Katharine Hepburn hatte ihn höchstselbst für diese Rolle ausgesucht, und zwar, weil er ihr eben nicht als Langweiler, aber auch nicht als flotter Morgenmantelträger erschien, den selbstverständlich Cary Grant gab. Connor war irgendwas dazwischen, ein von Sozialneid heimgesuchter, talentierter Zyniker, der sich in die Gesellschaftsdame verliebt, die er eigentlich in einer Klatschstory verbraten soll, sich mit ihr betrinkt, hackevoll nachts im Swimmingpool planscht und am Morgen wieder Angst hat, es war alles doch nur ein Traum...

Irgendwie waren sich alle einig, daß Stewart den Oscar in Wirklichkeit für etwas ganz anderes bekommen hat, nämlich für Frank Capras „Mr. Smith geht nach Washington“ (1939), wahrscheinlich die Rolle, mit der man ihn am nachhaltigsten verbindet, und einer der kontroversesten Filme der Vorkriegszeit überhaupt. Der Film über die Renaissance der Jeffersonschen Demokratieideale (Lincoln war zu umstritten) aus dem Geist eines eher ländlichen Gründungsmythos. Ein naiver Pfadfinder namens Jefferson (!) Smith wird von ein paar korrupten Politikern zur Strohpuppe ihrer Machenschaften aufgemotzt, kann sich aber in einer flammenden Dauerrede (23 Stunden) vor dem Kongreß letztlich doch Recht verschaffen. Das Washingtoner Premierenpublikum, 4.000 Angehörige der politischen Elite, war allerdings nicht amüsiert. Man buhte düpiert, verließ zu zwei Dritteln das Kino, die Senatoren hetzten auf den Gängen, es sei das Absurdeste, was sie je gesehen hätten, und die Journalisten verrissen den Film einhellig. Botschafter in Europa warnten vor dem Export des Films; er könne Nazi-Deutschland genau die Munition liefern, auf die es gewartet habe.

Anders als John Wayne, der in den folgenden Jahren als Weltkriegsheld auftrat, ohne je auf dem Schlachtfeld gewesen zu sein, ließ Stewart sich anheuern, obwohl sie ihn wegen seines Untergewichts eigentlich gar nicht haben wollten. Er konnte zu diesem Zeitpunkt nicht nur längst fliegen, sondern hatte auch, als Architekturstudent in Princeton, ein eigenes Flughafenprojekt entworfen. Er hatte den großen Crash hinter sich, hatte gesehen, wie das Familiengeschäft in einem Brand zu Schutt und Asche zerfallen war, und war eigentlich eher deshalb Schauspieler geworden, weil er befürchtete, als Architekt in den mageren Zeiten eh keine Arbeit zu finden. Er hatte in New York mit Henry Fonda zusammen gelernt, er hatte in Filmen alles gespielt – Arzt, Anwalt, Lehrer, Reporter, Automechaniker, Angestellter, Fußballer, Rennfahrer, Detektiv und sogar Mörder. Er wollte in den Krieg, nach Übersee.

In England schloß er sich einem Bomberkommando an, in dem auch Walter Matthau diente, und erzählte später, er habe nie soviel schauspielern müssen wie damals, als es galt, den andern keine Angst zu zeigen und in einem Himmel voller Geschwader und heranfliegender Flugabwehrraketen so zu tun, als flöge man mal eben nach Pennsylvania. Als er wirklich dorthin zurückkam, hatten sie auf das goldene Dach des Gerichtsgebäudes „Willkommen, Jim“ geschrieben. Er heiratete Gloria Hetrick McLean, die Organistin wurde in ihrer Gemeinde.

Die fünfziger Jahre, die man sonst mit Fug und Recht als echte Talsohle des Kinos bezeichnen kann, waren die Zeit von Stewarts subtilsten Filmen. Mit Alfred Hitchcock drehte er „Fenster zum Hof“ (1954), „Der Mann, der zuviel wußte“ (1956) oder „Vertigo“ (1958), in denen er ganz vorsichtig andeutete, es könnte vielleicht doch ein Leben unterhalb des gestärkten Hemdes geben. Dieses zarte Leben aber war stets bedroht; seine Rollen kämpften mit der Impotenz. Er mußte (und wollte heiß und innig) mit gebrochenem „Bein“ zusehen, wie gegenüber eine schöne Frau strippte, die wenig später ermordet wird; er kann nichts gegen die Entführung seines Sohnes in Marokko tun, und er ist einer Frau verfallen, die ihm mit wechselnden Identitäten und sexuellen Zugänglichkeiten vor der Nase herumfuchtelt. Dabei ist er nicht nur Opfer – er will auch etwas, das ihm selbst ganz dunkel ist.

Seine komplizierteste und reichste Rolle spielte er in John Fords „Der Mann, der Liberty Valance erschoß“ (1962). Wieder ist er ein Senator. Nach langen Jahren des Erfolgs in Washington kehrt er, Ranse Stoddard, mit seiner Frau in die Kleinstadt Shinbone zurück, um seinen Freund Tom (John Wayne) zu begraben. Ein junger Reporter will seine Geschichte aufschreiben, die, wie Kurt Scheel im Merkur geschrieben hat, eine Zivilisationsgeschichte en miniature ist. Stoddard nämlich kam als Anwalt in den Wilden Westen, der bis dahin nur das Gesetz des Stärkeren kannte, von dem sich Stoddard demütigen lassen muß (Stewart trägt sogar eine Mädchenschürze). Dieses neue Gesetz nun kann seinerseits nur mit Gewalt durchgesetzt werden, und dabei ereignet sich immer auch ein Verlust. Tom erschießt den Rohling-Tyrannen Liberty (!) Valance (Lee Marvin), läßt aber alle Welt in dem Glauben, Stoddard habe es getan, was diesem zu dem Ruhm verhilft, der notwendig ist, eine Art Gerechtigkeit zu etablieren.

Auch Stoddard selbst glaubt, er sei es gewesen, der das Dorf von Liberty befreit hat – erst später erzählt ihm Tom, daß er es war. Aber die Zeitungsleute, denen er erst dann die Wahrheit erzählt hat, weigern sich, sie zu drucken (so sind sie), mit einem der bekanntesten Sätze der Filmgeschichte: „This is the West, Sir. If the legend becomes fact, print the legend.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen