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Spitzengenossen gegen Lehrstellenabgabe

■ Ministerpräsidenten wollen zweiten Berufsschultag nicht streichen. Gerhard Schröder (SPD) plädiert gegen Strafabgaben für Betriebe, die nicht ausbilden

Berlin (dpa/AFP/taz) – Mit Schultüten wurden sie überrascht, doch der Inhalt war wenig süß. Die gestern in Bonn tagenden Ministerpräsidenten der Länder erhielten in bunter Verpackung eine Forderung von Lehrlingen. Bei ihrem Treffen mit Kanzler Kohl sollten sie sich dafür einsetzen, daß der zweite Berufsschultag auch weiterhin Azubis zusteht, die schon im zweiten Lehrjahr sind. Forschungsminister Jürgen Rüttgers (CDU) will die Regelung abschaffen. Er hofft, daß Lehrlinge eher eingestellt werden, wenn sie ihrem Meister nicht nur drei, sondern vier Tage die Woche zur Verfügung stehen.

Die Lehrlingsaktion war erfolgreich. Mit deutlicher Mehrheit lehnten die Ministerpräsidenten Rüttgers Konzept gestern ab. Seine Pläne reichten zur Verbesserung der beruflichen Ausbildung nicht aus. Zudem müsse die Organisation der Ausbildung Sache der Länder bleiben. Auf eine einheitliche Strategie im Kampf gegen die Lehrstellenmisere konnten sich die Länderchefs nicht einigen.

Ende Mai standen den bundesweit rund 320.000 Lehrstellen Suchenden nur 135.000 freie Plätze zur Verfügung. Im Vergleich zum Vorjahr gibt es in der Bundesrepublik 56.000 Ausbildungsplätze weniger, weil viele Betriebe nicht mehr ausbilden wollen.

Unmittelbar vor den Gesprächen machte Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) Front gegen einen Plan seiner eigenen Partei zum Lehrstellenmangel. Er wandte sich gegen Strafmaßnahmen für Betriebe, die keine Lehrstellen anbieten. Der letzte jugendpolitischen Kongreß der SPD hatte eine solche Maßnahme gefordert.

Schröders Regierungssprecher kommentierte diese Pläne: „Wir befürchten, daß Betriebe sich von der Ausbildung freikaufen.“ Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Wolfgang Clement schloß sich der ablehnenden Haltung seines Parteikollegen an. Er halte nichts von einer Ausbildungsabgabe, so Wolfgang Clement, weil dann zu befürchten sei, daß sie in kurzer Zeit auf eine öffentliche Finanzierung hinauslaufe. Wolfgang Clement startete gestern eine zweiwöchige Werbetour für mehr Ausbildungsplätze quer durch Nordrhein-Westfalen. Er will 70 verschiedenen Unternehmen ins Gewissen reden, Lehrstellen zu schaffen.

Seine eigene Regierung schmückt sich jedoch nicht mit Ausbildungseifer. Gewerkschaftsvertreter werfen der Landesregierung Verantwortungslosigkeit vor. Im vergangenen Jahr seien noch 1.575 Ausbildungsverhältnisse im Landesdienst neu begründet worden, 147 mehr als ursprünglich geplant.

Doch jetzt ist die Tendenz absteigend. 1997 werden vermutlich lediglich 1.391 Auszubildende eingestellt. ank

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