Faszinierend perfekt

■ Was bringt es, wenn ein Profi die eigenen vier Wände gestaltet? Zu Besuch in einem durchdesignten Dachgeschoß

Matthias Rumpelhardt ist Mieter einer beneidenswerten Fünfzimmer-Dachgeschoßwohnung im eindeutig hübscheren Teil von Berlin-Schöneberg. Es ist eine dieser Wohnungen in vollverstuckten und toprenovierten Altbauten mit abgezogenen Holzfußböden, geringer Dachschrägung, dafür mit reichlich großen Fensterflächen und Oberlichtern, so daß selbst die Besenkammer noch wie ein Salon erscheint. Doch Mieter Rumpelhardt wollte mehr. Als Unternehmensberater selbst im Dienstleistungsgeschäft tätig, nimmt er Serviceleistungen selbstverständlich in Anspruch. „Ich bin von Perfektion fasziniert“, sagt Rumpelhardt. „Und für eine gute Dienstleistung bezahle ich gerne. In Deutschland leben wir in der Hinsicht noch hinterm Mond.“

Während es vor 50 Jahren nicht nur gesellschaftlich legitim, sondern auch als besonders schick galt, sich seine Wohnräume von einer Fachkraft einrichten zu lassen, reduziert sich die Aufgabe des Innendesigners oder Innenarchitekten heute – zumindest im privaten Bereich – bestenfalls auf das Gestalten von Schrankwänden. Schlecht eingerichtete Wohnräume gelten manchmal nahezu als schick, zumindest als irgendwie individuell. Wer sich dennoch einen Innendesigner ins Haus holt, ist schnell als Parvenü oder Snob verschrien, der's nötig hat. Das muß nicht sein. Rumpelhardt zum Beispiel hat wenig Zeit, ist fast nie zu Hause und möchte seine Wohnung trotzdem schön und behaglich haben. „Eine gewisse Gemütlichkeit, aber doch minimalistisch“ – das war seine Vorgabe für die Innenausstatterin Andrea Harre. Das Verhältnis zu seiner Einrichterin war für ihn ähnlich wie die Beziehung zu seinem Optiker: spontanes Grundvertrauen.

150 Quadratmeter Rumpelhardtsche Wohnung: ein Paradies für Einrichter. Nach dem Einzug stand da gerade mal ein Klappsofa von Ikea, das ohnehin entsorgt werden sollte, eine Junggesellenanlage mit rund 200 CDs, ein paar mehr oder weniger vertrocknete Grünpflanzen, ein alter Holztisch, eine Orangenpresse, diverse Alkoholika, ein „ekelhafter schwarzer Ledersessel und ein paar blöde pastellfarbene Bilder“ (Harre). Es folgte der Rundumschlag.

„Ich bemühe mich um eine Kombination von Funktionalität und Qualität“, sagt Harre. Sie befreite ihren Auftraggeber nicht nur von seinen Altlasten, sondern riß auch Wände heraus, um die Wohnung „noch großzügiger und heller zu machen“. Einbauküche und Wohnzimmer verschmolzen zu einer großen Wohneinheit. Alle toten Ecken und Winkel wurden so eliminiert. Die Stützbalken behielten ihren natürlichen Holzton. Dadurch wirkt die großzügige Wohnung gemütlich wie ein Fachwerkhaus.

Glattverputzte, weiße Wände und versteckte Stauräume wie ein begehbarer Kleiderschrank und das CD-Bord, das Harre einfach hinter einem horizontalen Stützbalken verschwinden ließ, strahlen Organisiertheit und Aufgeräumtheit aus. Sie kombinierte ein blutrotes Andy-Warhol-Sofaimitat aus Samt mit antiken Möbeln. Erdige Grundtöne und ein warmes Rot tauchten immer wieder auf: im Sofa, einem Bild an der Wand, der Farbe einer Lampe oder der Blumenvasen. Mit originellen Kleinigkeiten, die, wie Harre meint, „nicht gleich auffallen sollen“, kann sogar etwas vorgeschummelt werden, was sich als „die Individualität und Phantasie des Bewohners“ deuten läßt (in Wahrheit jedoch die Phantasie der Einrichterin ist). Harre installierte ein halbes Dutzend Reagenzgläser an die Wände, die sich als Vasen für einzelne Blumen benutzen lassen. „Die Persönlichkeit des Bewohners schleicht sich von allein in die Wohnung“, meint die Innendesignerin. „Schon deshalb, weil am Ende überall seine Sachen herumliegen.“

Am Ende war der Auftraggeber mit allen Maßnahmen einverstanden. Ja, sie konnte ihm sogar die pastellenen Bilder ausreden, von denen er sich zunächst nur ungern trennen wollte. Und nach mehr als zwei Jahren Leben im durchdesignten Dachgeschoß fühlt sich Matthias Rumpelhardt immer noch wohl damit. „Am Ende habe ich sogar weniger Geld ausgegeben, als wenn ich irgendwelche Möbel gekauft hätte, die mir kurze Zeit später nicht mehr gefallen. Nur bei den Bildern“, gesteht er, „habe ich etwas geändert.“ Über Geschmack läßt sich eben doch streiten. Kirsten Niemann