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Prinzessinen, aufgeputscht, weggeknallt

■ „Headstate“: Ein Kammerspiel für vier Akteure des „Trainspotting“-Autors Irvine Welsh im Jungen Theater

Schon einmal begann ein Theaterstück mit Scheiße, genauer: mit dem Wort „Schreiße“– Alfred Jarrys „Ubu Roi“. 1896 verdiente es sich – unter anderem – damit seinen veritablen Skandal. Heutzutage dagegen darf „Scheiße“einspruchslos vornanstehen, als komprimierter Ausdruck nämlich für die Lebenseinstellung von Endzeit-Existenzen: den gesammelten Zumutungen der Welt immerhin durch Rotzigkeit trotzen, wenn schon jeder Veränderungswille aufgegeben wurde.

Viel hat sich also in 101 Jahren getan. Auch thematisch. Da taucht in Irvine Welshs Kammer-Quartett „Headstate“plötzlich eine Problemstellung auf, die für all diejenigen, welche noch im Dunstkreis der 68er sozialisiert wurden, nur mit großen Mühen nachvollziehbar ist: Im Zeitalter von Aids geht es auf einmal wieder um ein Auseinanderklamüsern von Gefühl und Sex. Nicht mehr zwei Seiten derselben Medaille sollen Liebe und Triebe sein, sondern unterschiedliche Dinge. Seltsame Berichte aus Amerika von Dreizehnjährigen, die da plappern von den tieferen Dimensionen der rein seelischen Kontaktaufnahme, erreichen das europäische Abendland.

Auch Irvine Welsh widmet sich eingehend diesem Thema. Allerdings nur um uns dann doch wieder dahingehend zu belehren, daß auch die Liebe Teil des Profitdenkens (des seelischen wie des ökonomischen) ist. Vor und nach ihrem Tod wird die liebende Mickey ausgeplündert: „Wir brauchen ihre Güte.“Es gibt eben immer noch kein wahres Leben im Falschen.

Ja das Auseinanderdividieren von Liebe und Sex macht das Zusammenkommen der Menschen noch ein Stück schwieriger. Die vier Protagonisten tanzen miteinander, robben übereinander und finden doch nicht zusammen, weil sie verschiedene Dinge wollen. Als Ausdruck für die geballte Fülle widerstrebender Gefühlsrichtungen bei allernächster Nähe wählt der als Regisseur im Jungen Theater gastierende Goetheplatz-Schauspieler Heiko Senst die Form des klassischen Balletts, einem virtuosen Um-, In-, Über- und Voneinander mit dezent ironischem Einschlag, brillant dargeboten von Erkan Altun und Katrin Rüßmeyer.

Spaceball konsumieren diese Helden des Chaos, eine Mischung aus Koks und H, aus Aufputschen und Wegknallen, Wachheit und Trunkenheit. Entsprechend outriert und wild gestikulierend reißen sie die großen Fragen der Existenz mit besonderer Vorliebe an: „Worum geht es denn im Leben?“Beantwortet werden sie mit einer Mischung aus Zynismus und Kitsch: „Es gibt einen riesigen Leichenfleddermarkt.“Oder: „Ich möchte, daß alle sich mögen, umeinander kümmern, aber das geht nicht.... Denn das müßten dann alle gleichzeitig tun.“

Allgemeinplätziges, wo sich der Zuschauer nicht mehr ganz sicher ist, ob nun diese äußerst redseligen Menschen hohl sind oder ob es schon ein wenig das Stück selber ist.

„Ein chemisches Märchen von Liebe und Geld“nannte der Autor seine Seelenerkundung. Und Heiko Senst und Ausstatterin Andrea Kannapee steckten folgerichtig ihr Unglückskleeblatt in Märchenroben, in eine Ritterrüstung, die eine Wunde unter dem Herzen verbirgt, in 1001-Nacht-Pluderhosen, in das züchtige Gewand einer Minnedame und neckisches Rokokogedrechsel. Schließlich gehorchen die vier Rebellen noch immer den Einflüsterungen der Eltern, deren Märchenerzählungen vom Prinzen, der das arme Mädchen glücklich machen wird. Eine wirklich trickreiche Idee: wo allerorts historische Stücke vergegenwärtigt werden, wird hier ein aktuelles Stück einer Art von Historisierung unterzogen.

Zu Recht war das Premierenpublikum äußerst angetan von den (zum Teil regelrecht artistischen) Leistungen der Schauspieler, neben Altun und Rüßmeyer ein wunderbar morbid geschminkter Axel Deller und eine herrlich extrovertiert dahinleidende Janina Sablotzkia. Es war begeistert von einer Fülle sprechender Regieeinfälle: Etwa Axel Dellers selbstbewußtes Hinterherhecheln nach dem Lichtspot während seines großen, selbstverliebten Monologs.

Unter den mimischen, gestischen Turbulenzen lauerte zwar auch manchmal der Eindruck, daß hier Hypermotorik die Schwächen eines vielleicht allzu zeitgeistigen Stückes übertüncht. Ganz sicher aber machte das Junge Theater daraus eine sehenswerte Inszenierung.

Barbara Kern

Weitere Aufführungen: 9. bis 13., 17. bis 20. Juli um 20.30, Sonntags um 19 Uhr im Jungen Theater, Friesenstraße 16/19

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