Sommer, Sonne, Arbeitslosigkeit

■ Entgegen dem Bundestrend steigt die Zahl der Arbeitslosen im warmen Monat Juni. 3.000 mehr JobsucherInnen als im Mai

Normalerweise bringt der Sommer neue Jobs. Wenn der Bau, die Gastronomie und andere Branchen aus der Winterstarre erwachen, sinkt die Arbeitslosigkeit. Nicht so in Berlin im Juni 1997: Entgegen dem bundesweiten Trend suchen 3.000 Menschen mehr eine Beschäftigung als noch im Mai. Insgesamt verzeichnet die Statistik 265.000 Arbeitslose zwischen Havel und Müggelsee – 30.000 mehr als im Juni 1996.

Die Hauptstadt ist damit von der wirtschaftlichen Entwicklung in den anderen Bundesländern abgekoppelt. Fast in allen anderen Bundesländern wurden im Juni mehr Menschen beschäftigt als im Mai. Neben Schleswig-Holstein stiegen die Zahlen der Arbeitslosen nur in Brandenburg und Berlin an. In Brandenburg waren 213.000 Personen arbeitslos (17,2 Prozent), in der Spreestadt betrug die Quote 15,6 Prozent.

Den Grund für den außergewöhnlichen Anstieg sieht Beate Moser, Sprecherin von Arbeitssenatorin Christine Bergmann (SPD), vor allem in der Kürzung der Arbeitsfördermaßnahmen durch die Bundesanstalt in Nürnberg. So gab es im Juni rund 2.000 ABM-Stellen weniger als im Februar diesen Jahres. Die Plätze für Umschulung und Weiterbildung seien um ein Drittel reduziert worden, so Moser. Diese Kürzungen treiben vor allem Frauen ins Heer der JobsucherInnen, weil sie staatliche Maßnahmen verhältnismäßig stärker in Anspruch nehmen als Männer.

Die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes Berlin- Brandenburg, Christiane Bretz, greift speziell Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) an. Um die „magischen drei Prozent Neuverschuldung“ als Einstiegskriterium für die europäische Währungsunion zu erreichen, betreibe der Bundeskassenwart „eine unsoziale Sparpolitik und nimmt den weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit in Kauf“, so Bretz.

Die Sparerei auf Bundesebene verschärft zusätzlich die ohnehin desolate Wirtschaftssituation in Berlin. Fabriken in beiden Stadthälften entlassen weiter Arbeiter. Die Zahl der Industriejobs ist von 400.000 (1990) auf mittlerweile 125.000 gesunken. Trotz des Baubooms geht auch das Baugewerbe immer mehr in die Knie.

So verringern sich auch die Ausbildungsstellen, während die Zahl der SchulabgängerInnen steigt. Die Folge: Mehr junge Leute reihten sich kurz vor den Sommerferien in die Schlangen vor den Arbeitsämtern ein. Die Verknüpfung der ungünstigen Tendenzen führt dazu, daß die Arbeitslosigkeit entgegen dem Saisontrend nicht sinkt, sondern steigt.

Je nach politischem Geschmack fordern die PolitikerInnen nun Abhilfe. Die CDU möchte die Belastung der Unternehmen durch Steuern reduzieren, die SPD dagegen mehr Geld für Arbeitsbeschaffung ausgeben. Und die Bündnisgrünen verlangen Arbeitszeitverkürzung im Staatsdienst. Das alles wird den Trend nicht brechen. WirtschaftsforscherInnen gehen davon aus, daß die Talfahrt an Spree und Havel noch Jahre weitergeht. Hannes Koch

Interview Seite 22