: Anarchischer Ticket-Shop
■ Nicht jeder türkische Bremer darf am Samstag im Spiel Werder gegen Istanbul in die Ostkurve / Das Fan-Projekt plant jetzt rund ums Spiel eine türkisch-deutsche Feier
„Irgendjemand zieht immer die Arschkarte“, sagt die Mutter des zehnjährigen Rupert. Rupert nicht. Rupert ist Werder-Fan – aber kein so ganz richtiger. Er hat keine Dauerkarte und will auch gar nicht in die Ostkurve; dahin wo auf den Stehplätzen der Bär tanzt. Also kaufte sich Rupert statt dessen seine Sitzplatzkarte irgendwoanders im weiten Werder-Rund. Es muß ja nicht gerade das Eckchen im Norden sein, wo am kommenden Samstag, in Werders drittem Vorrundenspiel zum UI-Cup die Fans von Istanbulspor ihren Block bilden.
Schon wollte Rupert fröhlich von dannen ziehen, als ihn ein kleiner Dialog zum Verweilen einlud. Bei den freundlichen Kartenverkäufern im Fan-Shop, just unter der Ostkurve, stand jetzt nämlich ein türkischer Vater mit Sohn. Das waren wohl richtige Fans. Die wollten gern auf die billigen Stehplätze. In der Ostkurve. Das aber ging nicht, – „aus Sicherheitsgründen“, so hörte Rupert den Kartenverkäufer sagen. „Obwohl die Werder-Mitglieder waren“, sagt Rupert, „und einen deutschen Paß hatten“. Eine türkische Frau, gleich darauf, habe die gleiche Antwort bekommen.
Diskriminierung, Rassismus, Faschismus? Nein, sagen alle, die irgendwas mit dem Spiel am Samstag zu tun haben. Nach einem 'Na ja, vielleicht' klingt nur die Antwort von Harald Klingebiel von Werders Fan-Projekt: Eine Form der Diskriminierung sei das vielleicht schon, aber nicht von seiten Werder Bremens! Schuld sei die UEFA, der europäische Fußball-Verband, mit seinen restriktiven Auflagen. Und die besagen nun mal, daß bei Spielen mit potentiellen Krawall-Potenzen Heimfans von ausländischen Fans streng getrennt gehalten werden müssen. Von Emigranten hingegen ist in den UEFA-Bestimmungen anscheinend nicht die Rede. „Die UEFA aber“, sagt Harald Klingebiel, „ist mächtiger als die Europäische Union“; was die UEFA anordnet ist heilig. Er selbst vom Fan-Projekt fände „aus Gründen der praktischen Integration eine gesunde Mischung in der Ostkurve“zwar toll, aber: Das müsse politisch geregelt werden, in Diskussionen mit der UEFA und nicht im anarchischen Alleingang von Werder Bremen. Über die Konsequenz für den Verein, wenn es in den Fan-Blöcken zu Krawallen kommt, weiß Marita Hanke Bescheid, die Pressesprecherin von Werder: „Dann können wir unsere Cup-Spiele erstmal in Stadien austragen, die über hundert Kilometer von Bremen entfernt sind“. Über den Vorfall an der Ostkurven-Kasse zeigt sie sich trotzdem erstaunt. „Die Eskalationsstufe muß zwar ausgeschaltet werden aber in Einzelfällen handhaben wir die Anordnungen der UEFA trotzdem großzügig. Wenn da ein türkischer Werder-Fan kommt, dann kriegt der natürlich seine Karte für die Ostkurve.“Was ein echter Werder-Fan ist, das hingegen muß in der Praxis des Kartenverkaufs eine semiotische Angelegenheit bleiben. Spurenlesen aus präventiven Gründen. „Dauerkartenbesitzer klar, das sind ja Fans“sagt der nette Kartenverkäufer neben den Werder-Humpen. Auch einem zehnjährigen Kid in Werder-Klamotten würde er die Karte zum Werder-Glück mit auf den Weg geben – dies aber schon mit leichten Bauchschmerzen. Denn wenn der Kleine dann doch für Istanbul jubeln sollte und von rabiaten Werder-Fans dafür eins übern Kopp kriegt, dann wäre doch keiner Seite gedient.
Njet! hingegen würde er spätestens sagen, wenn sich zwanzig türkische Boys für Ostkurven-Karten bei ihm aufreihen.
Letztlich, sagt Harald Klingebiel, seien die UEFA-Bestimmungen und die türkischen Werder-Fans nun mal zwei Paar Stiefel, die so richtig nicht zusammenkommen. Istanbulspor und Werder hingegen sehr wohl. Deswegen macht das Fan-Projekt am Samstag vor und nach dem Spiel eine türkisch-deutsche Feier. Mit Lahmacun und Tee, mit viel Musik und einer Diskussion der beiden Vereinsmanager. Angesagt haben sich schon sechs junge Erwachsene türkischer Herkunft aus dem Jugendzentrum in Blockdiek.
Die sind zwar keine Fußball-Fans, aber wenn Istanbul kommt, dann gehen sie trotzdem zu dem Fußball-Event. In den Gegner-Block an der Nordgeraden natürlich. Mit Fingerfarben auf beiden Backen. Eine für Werder, die andere für Istanbul. Vielleicht muß doch gar keiner „die Arschkarte“ziehen.
ritz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen